Wie sehr der Vincent-Amp auch die Freilegung der Details beherrscht, zeigt sich bei dem letzten James Blake-Album »The Colour In Anything«, zu dem ich vorher aufgrund dessen schroffen Naturells keinen richtigen Zugang gefunden hatte. Erst konzentriert über die SP 20 gehört, offenbarte sich mir die Genialität des britischen Musikers in aller Deutlichkeit. Die verschiedenen irrlichternden Ebenen der Gesänge – mal ganz natürlich, gerne überzeichnet, oft mit Effekten radikal verfremdet – auf dem Song »Put That Away And Talk To Me« faszinieren jetzt, wo sie vorher nur irritierten. Natürlich kann die Jubiläums-Endstufe von Vincent auch die gefürchteten Subbässe Blakescher Couleur überzeugend abbilden. Selbst aus einem Kompakt-Lautsprecher tönt das dann auf bisher nicht gekannte Art extrem massiv und tiefreichend.

Möchte man dem Verstärker eine tonale Auslegung zuschreiben, dann liegt der SP 20 leicht auf der warmen Seite, mit vollreifen Klangfarben gerade im mittleren Bereich – aber ohne damit gerne assoziierte Nachteile in puncto Auflösung oder Lebendigkeit. Das Jubiläumsprodukt von Vincent bewegt sich hier immer im Rahmen einer wohlabgeschmeckten Ausgewogenheit, wodurch der Musikgenuss gerade auf Dauer erheblich steigt. So erkennt man beim Song »Timeless« von der James-Blake-CD zwar eindeutig die kompositorische Absicht der schrill-sirenenhaften Störgeräusche und einer extra-brillant zischenden Hi-Hat-Simulation der Drum-Software, aber nicht um den Preis einer übernervösen Atmosphäre. Man kann sich das Stück höchst interessiert anhören – und gibt nicht auf, weil es anstrengend wird. Die SP 20 versteht es hervorragend, die Balance zu halten zwischen röhren-getriebenem Wohlklang und transistor-gemäßer Analyse.

Gestaltungsspielraum

Um den Einfluss der hybriden Vincent SA 31 MK-Vorstufe auf den bisherigen Höreindruck einzuschätzen, war es höchst passend, dass sich gerade der neue Pre 14-Vorverstärker von Abacus Electronic in Hörweite befand. Dieser notorisch neutrale Pre-Amp ist keinerlei persönlichen Klangcharakters verdächtig und erweist sich deswegen als guter Gradmesser. Und tatsächlich, im Vergleich zur SA 31 MK transportierte die SP 20 jetzt noch ein Jota mehr Detailakkuratesse, jedoch auf Kosten einer gesunden Portion Röhrenzaubers. Den charakterlichen Unterschied beider Vorverstärker arbeitete die Endstufe eindeutig heraus. Somit bietet sich dem Kunden durchaus feinstufiger Gestaltungsspielraum durch die Wahl der Vorstufen-Technologie: entweder das volle Röhrenprogramm mit der hier vorgestellten Kombination zweier Hybrid-Verstärker oder die abgestufte Kombination aus Hybrid-Power-Amp und Transistor-Pre-Amp. Am Grundcharakter des von der SP 20 gelieferten Ausrichtung des Klangbildes ändert sich jedoch nichts: schraubstockhafte Kontrolle, erhebliches Dynamikpotential, extreme Leistungsfähigkeit, stupende Transparenz – alles gepaart mit einem Schuss Röhren-Charme.

Lebendigkeit

Wie gut ein Geräte-Test läuft, lässt sich immer daran erkennen, wenn die Pegel steigen und persönliche Lieblingsplatten ausgegraben werden. Und genau das findet hier statt. Eumir Deodatos lichtester Moment – seine Interpretation von »Also sprach Zarathustra« aus dem 1972er-Album »Prelude« – gibt sich als hochaufgelöste Datei die Ehre und sorgt über die SP 20 angetrieben für hemmungslose Begeisterung: Das langsame, impressionistische Einstimmen der Perkussions-Instrumente findet in ganz breitem Panorama statt, das Fender Rhodes perlt charakteristisch drahtig-sonor, das Schlagzeug gibt treibend den Groove vor – bis dann ausgesprochen majestätisch, aus dem schwarzen Nichts heraus, das klassische Orchester-Motiv in rasant dargebotener Vehemenz erscheint. Und spätestens, wenn danach der Testredakteur anfängt, funky Luftgitarren-Licks zu spielen, ist klar: Diese Endstufe erfüllt ihren angedachten Zweck in bester Manier. Sie erweckt auf Tonträger konservierte Musik wieder zum Leben.