Im Hörraum wartete die Dynaudio Special Forty brennend darauf, den Hegel H590 kennenzulernen. Normalerweise spielt sie im Verbund mit dem Audionet SAM 20 SE, aber es brauchte gerademal ein halbes Dutzend Vergleiche, bis in aller Deutlichkeit klar war, dass der Norweger niemand anderes in seinem Revier duldet. »Jadoo« von Klaus Doldinger gehört zu meinen Lieblingstiteln, wenn es um den Vergleich zwischen Verstärkern geht. Was mit Keyboard, Schlagzeug und Bass beginnt, wird nach kurzer Zeit mit großer Kraft von Bläsern und Doldingers Saxophon flankiert. Normalerweise Schwerstarbeit für einen Verstärker, doch was macht der Hegel? Der nimmt den Titel definitiv auf die leichte Schulter: Vor allem Bass und Schlagzeug zieht er hochenergetisch durch, gewährt dem Keyboard eine breite Bühne und stellt schließlich Doldinger glaubhaft ins Zentrum des Geschehens. Dabei erlaubt er sich keinerlei Schärfen oder Ungereimtheiten – und wir reden hier über CD-Wiedergabe. Die Daten kamen vom Marantz SA-Ki Pearl, gewandelt wurde aber vom Hegel, der im Vergleich zum im Marantz arbeitenden DAC mehr Informationen und »Licht« bietet. Es klingt entstaubt.

Zuhause entsteht der Konzertsaal

Geht das auch mit AirPlay? Brian Eno ist auf dem Smartphone gespeichert, um lange Zugfahrten kurzweiliger zu gestalten. Seine zur Beschallung von Installationen in Museen gedachte Musik wirkt via AirPlay zurückgenommen. Klanglich ist nicht viel auszusetzen, aber im Vergleich zur vorherigen CD-Wiedergabe wirkt die Wiedergabe ein wenig teilnahmslos. Diese Art der Wiedergabe mag ja als »Hintergrund-Gedudel« und zum Abspielen der Playlist geeignet sein, zum Beispiel wenn man Gäste hat. Wer seine Besucher aber beeindrucken möchte, schließt einen mit Audirvana+ ausgerüsteten Rechner per USB an. Denn was dann ausnahmslos hörbar wird, setzt klangliche Maßstäbe. Es muss nicht einmal ein dCS-Sampler sein, der mit DSD 256 die größte Datenraten bereithält. Nein, es reichen bereits die Anfangstakte des von Tidal in 24 Bit / 96 Kilohertz-Auflösung angebotenen und zudem MQA-kodierten Live-Albums »Home Invasion« von Steven Wilson, um zu begreifen, was klanglich möglich ist. Das Konzert wurde in der Royal Albert Hall in London aufgenommen, und deren Akustik genieße ich jetzt im Hörraum. Das knochentrockene Schlagzeug, die authentischen Gitarrenklänge und Wilsons Stimme erinnern mich stark an sein Konzert, das ich in der Alten Oper Frankfurt erleben durfte. Es war einfach ein unbeschreibliches Gefühl, mit einem Daten-File so nahe an die Realität zu kommen.

Was den Erkenntnisgewinn sehr erleichtert, ist die Tatsache, dass der Hegel nicht nur in einigen Teilaspekten brilliert, sondern dass er bereits mit den ersten Takten deutlich macht, dass er mit der Musik anders umgeht als viele andere Verstärker. Er fächert Titel weiter auf, treibt rhythmusorientierte Stücke vor sich her und wirkt bei alldem zu keinem Zeitpunkt überfordert. So hören wir uns das mit entspannter Gitarre beginnende »Go« von Stefon Harris an: Knackig und frisch das Schlagzeug, die Bläser dynamisch und mit abgefahrener Melodieführung – als Hörer taucht man regelrecht in die Musik ein. Ich bin beim Wechsel auf den hervorragenden, auch 30 Prozent günstigeren und als Arbeitsgerät rackernden Audionet SAM 20 SE allerdings dann doch verblüfft, wie das Klangbild plötzlich eine Nummer kleiner und zudem auch zurückgenommener erscheint. Vielen Wettbewerbern wird es nicht anders ergehen, sie werden vom Hegel H590 bestenfalls die Rücklichter zu sehen bekommen. Den Norwegern ist mit diesem Vollverstärker ein echtes Statement gelungen.