Auch gestalterisch erfüllt die neue Generation dieses Gerätekonzepts alle Anforderungen aus dem Pflichtenheft des Verstärkerdesigns: Es gibt angenehm dimensionierte Drehregler für die Quellenumschaltung und die Lautstärkeregelung. Außerdem gestatten wie gehabt zwei kleinere Drehregler eine Anpassung von Höhen und Bässen, wobei diese Klangregelung aus dem Signalweg genommen werden kann. Das eingangs angesprochene neue Gesicht des Amps unterstreicht seine traditionelle Anmutung, obwohl es sich in Form eines Displays zeigt: Die mittig in das Frontpaneel eingelassene Anzeige stellt ein VU-Meter dar. Ich frage mich zwar, ob dieses Stilmittel wegen der retrospektiven Anspielung oder der Inszenierung des Technischen so wirkungsvoll ist, aber eines kann ich nicht bestreiten: Pegelanzeigen wirken auf mich wie ein Schlüsselreiz – und mit meiner Faszination angesichts ausschlagender Zeiger bin ich gewiss nicht allein. Das Schauspiel kann sogar wahlweise grün, blau, rot oder weiß hinterleuchtet werden, um es an den persönlichen Geschmack oder an die Displayfarbe anderer Komponenten anzupassen. Hierfür einen kleinen Schiebeschalter auf der Geräterückseite vorzusehen, ist allerdings nicht die einfachste Lösung.

Opulentes Sound-Design

Der Moment ist gekommen, in das auditive Erlebnis einzutauchen, der SV-228 hat inzwischen fünf Tage und Nächte Einspielzeit absolviert. Von einem seiner beiden parallel nutzbaren Lautsprecherausgänge führen mit den XT-25 von QED Leitungen zu den Elac Vela FS 408, die in meinem Testbetrieb schon vielfach ein ausgezeichnetes Preis-Leistungsverhältnis unter Beweis gestellt haben. Die Musik wird von Tidal mit dem Musikserver Xo-one von X-odos sowie von dessen interner Festplatte aus zugespielt. Zu fortgeschrittener Stunde bietet sich die Loudness-Korrektur des SV-228 an, die bei der Anhebung tiefer und hoher Frequenzen moderat zu Werke geht und daher bei einem Streifzug durch meine Pop-Favoriten aus den Achtzigern überzeugen kann. Im Gegenzug braucht es auch bei geringer Lautstärke nicht unbedingt ein Aufpeppen auf Knopfdruck, damit der Funke überspringt: Die Beats bei »Such A Shame« von Talk Talk erklingen mit ihrem typischen, verhaltenen Punch – durchaus trocken, aber immer auch ein wenig soft. Zugleich dringt die Weltschmerz-kultivierende Stimmlage von Mark Hollis auch jetzt bis zu den tieferen Schichten meines Gemüts vor – gut, dass »Talk Talk Remixed«, eine 2003 remasterte Sammlung ursprünglich 1998 auf »Asides Besides« veröffentlichter 12“-Mixes, insgesamt nicht allzu sehr ins Melancholische driftet.

»Such A Shame« indes bleibt in allen Versionen ein nachgerade grandioser Titel, und der SV-228 entführt mich mitten in das opulente Sound-Design dieser Band hinein. Das darf man durchaus wörtlich nehmen, denn der Vincent lässt ausladend abgemischte Synthesizerklänge von der einen Ecke des Raumes zur anderen schweben, in einem weiten Bogen dicht vor dem Zuhörer entlang. Diese weitläufige Abbildung verführt mich unweigerlich dazu, tags darauf – ein wenig früher am Abend – bei gehobener Lautstärke in dieses Klangspektakel einzutauchen. Darin hat jedes Instrument und jeder Soundeffekt seinen festen Platz, und doch ist das ganze Gebilde von breiten Fugen durchzogen. Währenddessen klingt Mark Hollis, als würde er in einer Echokammer stecken. Der SV-228 zeigt unmissverständlich auf, was einem nonchalanten Umgang mit dem Handwerkszeug und was der speziellen Ästhetik dieser Produktion zuzuordnen ist. Dabei rückt er die stilistischen Elemente ins beste Licht und gestattet so, schmunzelnd in ihnen zu schwelgen.

Ninet Tayeb schlägt mit »Sweet Chariot« leise Töne an und demonstriert einmal mehr den außergewöhnlichen Umfang ihrer Gesangsstimme und ihres vokalen Ausdrucks. Die Sängerin bewegt sich hier auf einem Solo-Pfad, der abseits der von ihr gewohnten Terrains entlangführt: Die Ende 2018 eingespielte Single ist eine Coverversion des Gospel-Stücks »Swing Low, Sweet Chariot« von Wallace Willis. Der SV-228 gibt hierbei ihre Stimme scharf fokussiert in der richtigen Größe wieder und kann sie klar von der mit scharfen Konturen abgebildeten Gitarre abgrenzen, die Ninet selbst spielt. Zugleich stattet er die Gitarre mit einer wohligen, körperhaften Grundtonfülle aus, ohne dabei zu überzeichnen. Auch die tonalen Facetten ihrer Stimme fördert der Amp mit Leichtigkeit zutage, trägt die Sängerin von ihrem dunklen Timbre ausgehend bis zu glockenklaren, hohen Lagen hinauf, die sie zuvor nie angestimmt hatte. Zuweilen klingt ihr ungezügeltes Temperament jedoch an, und der SV-228 bringt diese rauen, kraftvollen Zwischentöne genau auf den Punkt – und sorgt damit dafür, dass mich ihr Vortrag ganz unmittelbar anfasst.

Klangfarbenreichtum

Die Arbeit an seinem neuen Album »Opening« brachte für Tord Gustavsen gleich zwei Premieren mit sich, denn Steinar Raknes steht erstmalig für sein Trio am Bass. Außerdem hatte der norwegische Pianist während der langjährigen Kooperation mit ECM tatsächlich noch nie zuvor ein Album im Auditorio Stelio Molo eingespielt. Die Akustik und das Ambiente dieses Konzertsaals in Lugano bilden einen Rahmen, in dem sich der äußerst fein gewobene Klangkosmos, den Tord Gustavsen entwirft, wunderbar entfalten kann. Manfred Eicher hat das Geschehen in gewohnter Manier meisterlich eingefangen, und der SV-228 kann mit einer luziden Darbietung die besondere Atmosphäre dieser feingeistigen Kompositionen hautnah vermitteln. Er stellt den weiträumigen Schlagzeugaufbau auf eine glaubhaft dimensionierte Bühne, die ausgezeichnet durchhörbar ist. Dabei bildet er Drums und Becken plastisch ab, ebenso wie den Bass und das Piano, denen er gebührenden Freiraum verschafft. Gleichzeitig stattet der SV-228 hier das Klavier mit prachtvollem Klangfarbenreichtum aus und trifft bei golden schimmernden Noten genau den Nerv. Nuancen treten allerdings schnell in den Hintergrund, wenn sich Tord Gustavsen in sein Spiel vertieft, denn der Vincent kann dessen meditatives Moment kultivieren und lässt mich binnen weniger Augenblicke vollends in diesen Zauber eintauchen. Mit einer solchen Leistung qualifiziert sich der SV-228 allemal als musikalischer Wegbegleiter.