Neuerdings wird der grundsätzlich sinnvolle Satz »weniger ist mehr« auch in der HiFi-Branche immer häufiger fehlinterpretiert. Was in puncto Ausstattung im Sinne des puristischen Gedankens absolut richtig und Kerntugend dessen ist, was wir High End nennen, entpuppt sich beispielsweise bei der Anwendung auf die Bauteilequalität als fatal. Es kann ja wohl nicht sein, dass beispielsweise aus Kostengründen die Signalverkabelung im Inneren eines Verstärkers nur noch nach dem Preisschild erfolgt. Das Gleiche gilt für die elektrische Überprüfung von Bauteilen. Stimmen die angegebenen technischen Werte überhaupt? Eine Frage, die mancher Hersteller vermutlich gar nicht beantworten kann.

Neben solchen gravierenden Schnitzern gibt es zunehmend auch andere Nachlässigkeiten, das beginnt bei billigen Verpackungen und schnöden Plastikfernbedienungen und endet bei »kostenoptimierter« Verarbeitung. Wackelnde Knöpfe darf es aber bereits im dreistelligen Preisbereich nicht mehr geben. Sie fragen sich, wann solche negativen Eigenschaften auffallen? Immer dann, wenn man es mit dem positiven Gegenteil zu tun bekommt. Eine solche handfeste Überraschung ist der aus der Slowakei kommende Vollverstärker AI 2.10 von Canor, der von A bis Z der Wunschvorstellung entspricht, die man mit seiner Preisklasse verbindet. Nachdem er aus seinem schicken Transportbeutel befreit wurde, stehen einem 15 Kilogramm Verstärker gegenüber, die es wahlweise in Silber oder in Schwarz gibt. Für die Inbetriebnahme ist nicht einmal der Blick in die Bedienungsanleitung erforderlich. Sechs Hochpegeleingänge, davon zwei in symmetrischer Ausführung, bringt der Amp mit. Das aus einer gelben Punktmatrix bestehende und wunderbar ablesbare Display lässt sich in der Helligkeit regulieren, auch über die schicke Metallfernbedienung. Hinzu kommt noch die Mute-Taste, und das war's dann schon fast.

Der Canor AI 2.10 ist ein Hybrid-Verstärker. Im Vorverstärkerteil sorgen zwei Doppeltrioden des Typs 6922 für die von Hörern sehr oft mit »rund«, »warm«, »sanft« und auch »musikalisch« beschriebenen Klang-Attribute. Dass im i-fidelity.net-Messlabor 172 Watt an vier Ohm pro Kanal gemessen wurden, ist der Class-D-Endstufe zu verdanken. Für die Stromversorgung sorgt ein stattlicher Ringkerntransformator. Damit sich die Baugruppen im Inneren nicht beeinflussen, sind zum Zwecke der Abschirmung Bleche verbaut worden. Bei den Bauteilen setzen die Slowaken auf SMD-Technik, die sie im eigenen Haus realisieren können. Vorteil der miniaturisierten Bauteile sind neben Platzersparnis auch verkürzte Signalwege. Auffällig ist die solide Gesamtkonstruktion. Auf Nachfrage erfahren wir, dass auch die Fertigung der Chassis auf eigenen CNC-Maschinen erfolgt, und sogar die Elektromagnetische Verträglichkeit (EMV) kann in einem eigenen Testraum überprüft werden.