Die Fähigkeit der Vincent-Verstärker zu einer als real empfundenen Darstellung zeigte sich auch in anderen musikalischen Zusammenhängen. Sämtliche Streicher bei den Tracks der »Versus«-Produktion von Carl Craig, Francesco Tristan, Les Siécles Orchestra & Francois Xaver Roth schwelgten in herzerweichender Samtigkeit – und auch das Holzgebläse wurde im richtigen, weil angenehm warmen und harzigen Ton präsentiert. Lediglich manche Blechbläser-Attacke »schmerzte« etwas weniger als erwartet, wirkte aber keineswegs verfehlt in der Präsentation. Diese Tendenz zu einer leichten harmonisierenden Abrundung verstärkte sich, als die rasanten, zackigen kleinteiligen Elektronik-Elemente dieser Klassik/Techno-Melange zum Einsatz kamen. Spätestens hier hatte ich den Eindruck, dass anders konzipierte Vollverstärker wie die kürzlich bei mir gastierenden Hegel Röst oder Moon 240i mikrodynamisch ein Jota agiler darstellten. Ein vermeintlicher Punktvorteil der reinen Transistor-Vertreter, der jedoch spätestens beim machtvollen Einsatz von Pauke und Kickdrum relativiert wurde. In diesen Momenten war die dickbauchige SP 332-Endstufe vollends in ihrem Element und machte mit der Kraft der substanziellen 2 x 307 Watt in der Hinterhand eindeutig klar, dass mehr Pferdestärken zu mehr Schubkraft und damit mehr Genuss führen.

Analoge Wärme

Der grundsätzliche Klangcharakter der Vincent-Kombination scheint mir besonders perfekt mit »handgemachter« Musik zu harmonieren – wie sich bei dem kultisch verehrten Debütalbum des brasilianischen Komponisten und Arrangeurs Arthur Verocai aus dem Jahr 1972 erneut zeigte. Dieses rare musikalische Juwel wurde anlässlich des amerikanischen Record Store Day 2017 streng limitiert in einer Half-Speed-Master-Edition noch einmal aufgelegt und landete als Urlaubsbeifang (Tower Records Dublin!) letztlich doch auf meinem Transrotor Dark Star, der nun seine Signale via Analogis Resumé-Phono-Preamp in den Cinch-Eingang der SA 32 speist.
Unterstützt durch die gewohnt klare und feingeistige Rillenauslese des Audio Technica AT 150 ML am SME-Arm vermitteln die beiden Röhren/Transistor-Amps perfekt den Charme dieser Aufnahme: die zuweilen leicht verschleppt wirkenden portugiesischen Gesangsvorträge, das drahtig-warme Fender Rhodes, die impulsiven Brass-Akzente plus allerlei Gitarrengezupfe und tirilierende Flötentöne – einfach wunderbar. Jenes inspirierte Miteinander dieser außergewöhnlichen Sessions Anfang der 70er in Brasilien stellen die Gebrüder Vincent mit ihrem Gespür für Klangfarbe und Atmosphäre auf sehr erfüllende Art dar.

Diese begeisternden Aspekte werden noch übertroffen von einer fantastischen Bühnenabbildung. Es ist faszinierend, wie die Kombination aus SA 32 und SP 332 es versteht, ein weit aufgefächertes Tonkaleidoskop aufzubauen, in welches man einer Zeitreise gleich komplett eintaucht. Die Illusion des »Dabeiseins« wird fast irreal verstärkt. Stellt man sich die Gesangsstimmen im Zentrum vor, dann agieren einzelne Gitarren oder komplette Streicher-Arrangements weit verzweigt im Hörraum, deutlich außerhalb der eigentlichen Position des Lautsprechers. Das funktioniert nicht nur in Breite und Höhe, sondern genauso gut in der Tiefe des Klangbildes. Einzelne Instrumente wie eine punktuelle Percussion-Einlage klingen kurzzeitig völlig losgelöst isoliert im Raum – das ist echtes 3D-Audio-Kino. In seiner dankbaren Grundcharakteristik war diese analoge Aufnahme natürlich ein Heimspiel für eine hochklassige Verstärker-Kombination, die sehr bewusst Röhren im Signalweg einsetzt. Aber auch Heimspiele muss man erst einmal gewinnen.