Für die erste Phase der Hörtests habe ich die Oberon 1 nach alter Schule auf Stativen und mit mehr als eineinhalb Metern Abstand zu den Seitenwänden aufgestellt; zur Rückwand habe ich anfangs eine Distanz von siebzig Zentimetern eingehalten. Eine solche freie Aufstellung begünstigt natürlich in der Regel vor allem eine ausgedehnte räumliche Abbildung, aber ob auch dieser »Schuhkarton« davon profitiert, soll von musikalischer Seite das Album »Forever Young« zeigen, das Gitarrist Jacob Young zusammen mit dem Saxophonisten Trygve Seim und dem Marcin Wasilewski Trio eingespielt hat. So wie sich das Klavier während des ersten Titels »I Lost My Heart To You« jetzt präsentiert, kann die Positionierung nach klassischen Faustregeln nicht verkehrt sein. Die Oberon 1 bildet den Korpus des Instruments klar umrissen ab und lässt die Noten bemerkenswert natürlich klingen: im Grundton warm-holzig und bis zu den höchsten Tönen hinauf glockenklar; voller Prägnanz und doch frei von jeglicher Schärfe.

Der Winzling hat Fundament

Mit der gleichen schlafwandlerischen Sicherheit trifft die Oberon 1 bei »Bounce« auch das Timbre des Saxophons exakt auf den Punkt und verleiht dem Spiel von Trygve Seim unaufdringliche Strahlkraft. Zudem gelingt ihr eine glaubhaft ausgedehnte Bühnendarstellung samt akkurater Sortierung der Musiker. Mit Blick auf tiefe Register steht die Oberon 1 jetzt zwar nicht auf verlorenem Posten, aber der Kontrabass von Slawomir Kurkiewicz wirkt tonal doch etwas beschnitten – kein Wunder angesichts ihrer Physis. Mit nur dreißig Zentimetern Abstand zur Rückwand stellt sich die Sache allerdings wesentlich anders dar: Der Winzling hat Fundament, spielt bis an seine Grenzen straff und zieht sich vor einer wabbeligen Überschreitung derselben galant aus der Affäre – hervorragend!

Das bisher Gehörte hat richtig Lust auf eine weitere ausgezeichnete Produktion gemacht: »To The Bone«. Steven Wilson hat als autodidaktischer Multi-Instrumentalist und Producer für sein fünftes Studioalbum wieder selbst Hand an den Mixer gelegt und mit tonmeisterlicher Unterstützung von Paul Stacey weitläufige, vielschichtige Klangpanoramen geschaffen, die musikalisch an seine Vorbilder (unter anderem Pink Floyd) erinnern, aber aus deren Schatten hervortreten. »Pariah« steckt trotz seiner melancholischen Grundstimmung voller Energie, und daran hat die israelische Ausnahme-Sängerin Ninet Tayeb großen Anteil. Die Oberon 1 kann indes die faszinierende Ausdrucksstärke ihrer rauen Stimme voll zur Geltung bringen und transportiert mit feinzeichnend-atmosphärischer Spielweise den emotionalen Tiefgang dieses Titels. Gegen Ende des Songs entlädt ein sirrendes Gitarrenriff wie aus dem Bilderbuch die zuvor angestaute Spannung und die Oberon 1 spielt jetzt gleichsam entfesselt – das geht wirklich »bis auf die Knochen« durch.