i-fidelity.net: Herr Gessler, im Rahmen Ihrer Consulting-Aktivitäten interessiert uns, welche Themen für Sie gerade im Fokus stehen?
Thomas Gessler: Ich habe mir eine Auszeit genommen, die ich dazu genutzt habe, sehr frei und tiefgehend über die Passion High-End-Audio zu recherchieren, zu sprechen und darüber nachzudenken, wohin die Reise geht. In den vergangenen Jahren hat sich technisch viel getan, insbesondere in der Digitaltechnik. Aktuell zeichnen sich im Bereich Audio jedoch keinerlei grundlegende technische Innovationen ab. Das gilt für die analoge wie auch für die digitale Sphäre. Die analogen Schaltungskonzepte sind teilweise so ausgereizt, dass die Grenze des Messbaren erreicht wird. Datenraten und Auflösungen liegen im digitalen Bereich mittlerweile weit über dem erforderlichen Niveau.
Da stellt sich in der Konsequenz die Frage, auf welchem Wege echte klangliche Fortschritte noch seriös erreicht werden können. Nach meinem Dafürhalten wird sich die weitere Entwicklung in Bezug auf die klanglichen Eigenschaften von Materialien und von Gerätekonstruktionen abspielen. Gibt es Klangunterschiede zwischen unterschiedlichen elektrischen Leitern, einzelnen elektronischen Komponenten, Verbindungs- beziehungsweise Kontakttechniken und -materialien sowie Gerätekonstruktionen? Wie sind diese zu bewerten und zu kombinieren? Ich weiß aus langjähriger eigener Erfahrung, dass so erhebliche klangliche Verbesserungen erzielbar sind.
Es gibt dabei aber ein interessantes Phänomen: Klare klangliche Veränderungen sind oftmals nicht mehr messbar und somit objektiv nicht mehr begründbar. Das darf nicht dazu führen, dass es ins Beliebige geht. Klangziele und Kategorien müssen definiert und überprüft werden. Für mich waren immer zwei Eigenschaften vorrangig: Schnelligkeit beziehungsweise Auflösung und wohlklingende Sibilanten. Wenn unterschiedliche subjektive Höreindrücke in dieselbe Richtung gehen, ist man auf einem nachvollziehbaren und erklärbaren Weg zu besserem Klang.
Das bedarf einer offenen Zusammenarbeit von Expertenteams aus unterschiedlichen Fachbereichen. Elektronik-, Material- und Konstruktionsexperten und weitere haben in einem kreativen und experimentellen Entwicklungsprozess klangfördernde Lösungen zu erarbeiten. Je mehr Erfahrung sie haben, umso besser ist das für das Resultat. Insgesamt wird Entwicklungsarbeit also mehr zu einem künstlerischen Prozess.
Im Ergebnis werden wieder Entwickler-Persönlichkeiten in den Vordergrund rücken und die Marke etwas in den Hintergrund treten. Es wird viele neue, kleine Marken geben und das Geschäft für die sogenannten »Major Player« wird schwieriger. Die nächsten durchschlagenden Innovationen werden Brain-Machine-Interfaces sein, die Informationen direkt an das Gehirn geben. Das wird die Branche umwälzen.
i-fidelity.net: Verraten Sie uns, was Sie aktuell beschäftigt?
Thomas Gessler: Ich arbeite seit mehr als dreißig Jahren im High-End-Audio-Bereich. Von Beginn an war das für mich überwiegend ein Exportgeschäft. Die ersten Geräte, die ich verkauft habe, sind nach Taiwan geliefert worden. Es folgten China und weitere asiatische Länder. Ich habe mich jahrzehntelang mit der Akquisition, dem Aufbau und der Entwicklung eines weltweiten Vertriebsnetzes beschäftigt. Dabei habe ich über die Jahre sehr viele und wichtige Distributoren persönlich kennengelernt und mich mit ihnen immer wieder ausgetauscht. Daraus ist eine Art Netzwerk entstanden, dessen Partner überaus professionell, vertrauenswürdig und zuverlässig sind. Da sind viele dabei, mit denen ich schon Jahrzehnte Geschäfte mache oder gemacht habe und die Freunde geworden sind. Ich habe mir also eine Position erarbeitet, aus der heraus ich viele Türen öffnen kann.
Es gibt viele Hersteller und tolle High-End-Produkte, die definitiv nicht ihren angemessenen Platz auf den Märkten dieser Welt gefunden haben oder gar dort verankert sind. Hierzu gehören vor allem kleinere und noch junge Unternehmen, aber auch größere, die das Potential, das im Export schlummert, für sich noch gar nicht entdeckt haben. Oder die mit dieser Aufgabe schlicht überlastet sind und niemanden haben, der sich darum kümmern kann. Hier kann ich zuverlässig eingreifen und sicher helfen.
Ich identifiziere geeignete Distributoren, spreche diese aktiv an und kläre mit ihnen, ob das neue Produkt zu deren aktuellem Portfolio passt. Bei diesem Prozess kommt mir zugute, dass mich meine Partner kennen und mir vertrauen. Glaubwürdigkeit und Vertrauen ist in diesem Geschäft extrem wichtig. Wenn diese Basis gegeben ist, kann es zügig gehen – wenn nicht, kann es Jahre dauern.
Weiterhin bin ich im Bereich der Akquise beschäftigt. Ich werde immer wieder von ausländischen Partnern angefragt, die sich an hiesigen High-End-Unternehmen beteiligen oder diese auch übernehmen wollen. Unternehmen, die verkauft werden sollen oder eine Nachfolgeregelung suchen, kann ich mit Interessenten zusammenbringen. Meine Beratungen zielen darauf ab, dass sich Menschen aus aller Welt mit herausragenden Produkten und Marken so verbinden, dass sich daraus ein gegenseitiger Nutzen erzielen lässt.
i-fidelity.net: Sie gelten seit Jahrzehnten als ausgewiesener Kenner der Branche. Wo sehen Sie im Audio-Bereich Wachstumsmöglichkeiten und wo ist das Ende der Fahnenstange erreicht?
Thomas Gessler: Einer der am schnellsten wachsenden Märkte ist das Luxussegment. Der weltweite Markt für Luxusgüter hat sich in den letzten zwanzig Jahren auf 353 Milliarden Euro in 2022 mehr als vervierfacht. Zwar ist in den entsprechenden Statistiken unsere Branche nicht gesondert ausgewiesen, aber natürlich gilt das auch für High End-Audio, das ich überwiegend zu den Luxusgütern zähle. Alle Prognosen deuten darauf hin, dass das Wachstum wenigstens so weitergehen oder sich sogar beschleunigen wird. Hier steckt das entscheidende Potential für High-End-Audio.
Alle anderen Bereiche werden stagnieren oder sogar verschwinden. Mit vielleicht einer Ausnahme: Mir scheint, dass der Do-It-Yourself-Bereich wieder lebendiger sowie präsenter wird und wieder mehr Menschen anspricht. Da hat vermutlich die Pandemie ihren Anteil dran.
i-fidelity.net: Man munkelt, dass Sie sich erneut intensiv mit der Produktion von High-End-Komponenten beschäftigen. Können Sie das bestätigen?
Thomas Gessler (schmunzelt): In meinem Umfeld gibt es überragende Expertise und über Jahrzehnte aufgebautes Know-how, da gibt es ungebremste Kreativität und lustvolle Experimentierfreude sowie eine positive Crazyness. Offen gestanden, ist es da gar nicht zu vermeiden, neue Produktideen zu haben und zu spinnen. Lassen Sie sich einfach überraschen.
i-fidelity.net: In der kommenden Woche findet die »High End« in München statt. Hat die Pandemie Ihren Blick auf die Messe verändert?
Thomas Gessler: Zunächst einmal: Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache, Konzept und Durchführung der »High End« werden auch nach Corona national und international weiterhin sehr gut aufgenommen. Allerdings: Ich habe im Vorfeld der Messe mehr als 70 Distributoren nach München eingeladen – doch ein deutlicher Teil wird nicht kommen. Darunter sind viele Geschäftspartner, die sonst immer da waren. Sie sehen wegen der vielen neuen Kommunikationsmöglichkeiten aber nicht mehr die Notwendigkeit, vor Ort zu sein. Daher wäre eine deutlich bessere Medientechnik im MOC wünschenswert, mit der neue Wege der Aussteller-Kommunikation beschritten werden könnten.
Ich selbst freue mich sehr auf die Show, weil ich sehr viele Menschen wieder in den Arm nehmen kann, die nicht nur Geschäftspartner sind oder waren, sondern auch mein Leben begleitet haben und zu Freunden geworden sind.