Shootingstar

Nachdem Bowers & Wilkins kürzlich die überarbeiteten »Signature«-Modelle seiner Referenzserie »800« eingeführt hat, profitiert nun auch die preisgünstige Linie »600« von neuen Erkenntnissen. i-fidelity.net hat den besonders kompakten Regallautsprecher 607 S3 zum Test geordert.

Endlich, könnte man ausrufen, endlich. Lautsprecherhersteller bieten ihre Kernkompetenz, die selbstverständlich Klangqualität lautet, so preiswert wie nie zuvor an. Diese Offensive kommt genau zum richtigen Zeitpunkt, denn nicht alle, die gerade mehr Zeit als üblich zu Hause verbringen, sind mit der ausschließlichen Nutzung von Bildschirmen glücklich. Die Freude am Musikhören kehrt aktuell auf breiter Front zurück, immer mehr wissen diesen Genuss wieder zu schätzen. So manche Schallplatten-, CD- und tatsächlich auch Cassettensammlung ist von ihrem Dachboden-Exil befreit worden und erfreut nun wieder mit regelmäßigen musikalischen Auftritten. Für diese Art des Hörens kommen Smartphones und Bluetooth-Böxchen natürlich nicht in Frage, dafür braucht es die klassische Stereoanlage mit zwei Boxen. Nicht wenige Menschen überrascht nun die Tatsache, um wieviel intensiver und emotionaler die Musik damit wirken kann. Zusätzlichen Rückenwind verschafft diesem Trend die »Klangoffensive«, die gerade eine ganze Reihe von Audio-Spezialisten gestartet hat.

Zu dieser Riege gehört auch Polk. Seit fast fünf Jahrzehnten ist die Marke in den USA eine feste Größe. Hierzulande gab es oft Vorbehalte gegen das Design und/oder die klangliche Abstimmung der Lautsprecher. Doch heute gehören diese Aspekte längst der Vergangenheit an, und eine solche Marke, die mit vielen Patenten im Bereich Entwicklung und zudem einem sehr kundenfreundlichen Preis-Leistungsverhältnis glänzen kann, will nun endlich auch die europäischen Hörer aus der Reserve locken. Der Name der neuen Serie kann also durchaus als Prinzip gedacht sein. Zur umfangreichen Baureihe gehören drei Stand- und zwei Regal- sowie drei Center-Lautsprecher. Damit sind sowohl unterschiedliche Stereo-Setups als auch Mehrkanallösungen realisierbar. Spannend ist diese Reserve-Baureihe allemal, denn sie verfügt über eine Reihe von Technologien, die aus der Flaggschiffserie »Legend« stammen.

Bewusst hat sich i-fidelity.net für den kompakten Zweiwege-Bassreflexlautsprecher R100 entschieden. Mit knapp über 30 Zentimetern Höhe und 5,5 Kilogramm lassen sich die Boxen platzsparend in einem Regal oder auf dem Sideboard unterbringen. Aus klanglichen Gründen bevorzugen wir die freie Aufstellung, was den Einsatz von Stativen erforderlich macht. Diese sollten in der Höhe so gewählt werden, dass sich die beiden Hochtöner vom Hörplatz aus betrachtet auf Augenhöhe befinden. Dann wird die Bühnenabbildung richtig erlebbar. Aktuell gibt es die mit abgerundeten Kanten sehr elegant wirkenden Gehäuse nur in Mattschwarz, die weißen Ausführungen kommen im Sommer dazu. Wer den freien Blick auf die Chassis nicht wünscht, verwendet einfach die mitgelieferten, magnetisch haftenden Stoffabdeckungen.

Wert und Anspruch der verbauten Technik dokumentiert bereits der 25-Millimeter-Hochtöner. In seinem Zentrum befindet sich ein spitzer Kegel, der das gebündelte Abstrahlverhalten dieses Chassis aufbrechen soll, um so für einen guten Stereoeindruck an mehr als einem Hörplatz zu sorgen. Diese Art der Kalottenkonstruktion findet sich normalerweise nur in deutlich teureren Lautsprechern. Doch die Amerikaner haben ihr Pulver damit längst noch nicht verschossen. So irritiert der Blick auf den für den Frequenzbereich unter 2.700 Hertz zuständigen 13-Zentimeter-Tiefmitteltöner zunächst: Die mit einem Schaumstoffkern ausgestattete Membran schaut so aus, als ob ein Raubtier mit gespreizten Krallen zugeschlagen hat. Diese »Turbinengeometrie« soll für eine Resonanzminimierung sorgen und damit folglich eine klarere Abbildung ermöglichen. Damit das Zusammenspiel der beiden Chassis nahtlos funktioniert, hat Polk-Mitentwickler Scott Orth mit Software und Ohren intensiv an der Frequenzweiche getüftelt.

Auf Störungsarmut getrimmt

Die Bassreflexöffnung der R100 ist nicht einfach nur ein Loch im Gehäuse. Auch sie erinnert optisch an das Triebwerk eines Flugzeugs. Grund ist ein Stab, der mehrere unterschiedlich lange geschlossene Röhren enthält, der in das Zentrum der Öffnung eingelassen ist. Diese Konstruktion ist auf die Eigenresonanzen des Gehäuses und die Strömungsgeräusche des Bassreflex-Ports abgestimmt und soll diese bei ihrem Auftreten deutlich verringern. Bei Messungen soll das Verzerrungsspektrum nach Angaben von Polk deutlich niedriger ausfallen als bei herkömmlichen Ausführungen. Für den Anschluss der Lautsprecherkabel steht ein solides Single-Wiring-Terminal zur Verfügung. Im Hörraum wartete der Vollverstärker Magnat MA900 auf die Polks, die auf Stativen leicht eingewinkelt zum Hörplatz standen.

Joy Denalane hat vergangenes Jahr ihr Album »Let Yourself Be Loved« beim Motown-Label veröffentlicht. Das ist richtig gute Musik, die mit wuchtigen Bläsern und Streichern überzeugt und ein Klangbild erzeugt, das automatisch zu einer Zeitreise einlädt. Alle Instrumente sind um diese fantastische Stimme arrangiert, welche die R100 tadellos ins Zentrum projiziert. Wobei zwei Dinge sofort bestechend sind: Da ist zum einen der Raum um Stimme und Instrumente, der ein wunderbares Maß an Luftigkeit bietet. Des Weiteren trägt der elastisch laufende Bass zum Genuss bei. Dabei trumpft er keineswegs übertrieben auf, sondern fällt eher durch seine Geschmeidigkeit auf. Zudem zeichnet sich in diesem frühen Stadium des Hörens bereits ab, dass die Polk es mit akustischen Kleinigkeiten sehr genau nimmt. 

Um da genauer hinzuhören, eignen sich nahezu alle Alben von Peter Gabriel. Vor bereits knapp zwei Jahrzehnten hat er den wunderbaren Titel »Sky Blue« eingespielt, zu finden auf dem Album »Up«. Hier überrascht die Polk gleich in der Eingangssequenz mit ihren Fähigkeiten in puncto Auflösung. Gabriels charakterstarkes Organ bringt sie dabei in aller Deutlichkeit zu Gehör. Kommt der Background-Chor hinzu, steigen viele Lautsprecher aus. Sie veranstalten dann eine Gemengelage, in der die Zuordnung von Schallquellen nur noch schwer möglich ist. Nicht jedoch bei der R100, die die Übersicht behält und das Geschehen in einer Klarheit präsentiert, das durchaus an die Performance der deutlich teureren Dynaudio Special Forty erinnert.

Matt Carmichael ist erst 21 Jahre jung und bereits ein angesehener Saxophonist. Erst Anfang des Monats ist sein in Quartett-Besetzung eingespieltes Album »Where Will The River Flow« erschienen. Diesen musikalischen Genuss befeuert die R100 durch ihre räumliche Auflösung und die schönen Klangfarben der Instrumente. Zudem kann man dem realistisch abgebildeten Spiel des Kontrabasses gut folgen, der den Stücken ihr Fundament liefert, ohne dabei zu dick aufzutragen. Dieser athletische, durchaus audiophile Umgang kommt in dieser Preisklasse selten bis gar nicht vor. Gerade im Bass legen manche Hersteller hier noch eine Schippe drauf, was im ersten Moment spektakulär wirkt, aber sich bereits nach kurzer Zeit als nervend erweist.

Leidenschaftliche Performance

Wenn dann »All Blessed« von Faithless aufliegt, geht es um Energie, Rhythmus und physische Energie. Es ist absolut erstaunlich, was die Polk da aus ihrem kleinen Gehäuse an Kraft entwickeln kann. Das hört sich vor allem deshalb gut an, weil es weder dröhnt noch klappert, sondern der Bass im Stil eines Kolbens exakte Bewegungen ausführt. Für den Betrieb in größeren Räumen empfiehlt sich ein Subwoofer, um das Klangbild mit noch mehr physischer Kraft aufzuladen. Dennoch überzeugt uns die Polk R100 auch bei diesem Genre, denn sie bildet elektronisch erzeugte Klangflächen nicht nur mehrdimensional ab, sondern füllt diese auch mit dem richtigen Energiegehalt. Das ist mehr als Hörspaß, das bedeutet vielmehr exzellenten Hörgenuss. Mit ihrer hervorragenden Leistung wird die R100 mit Sicherheit auch anspruchsvollere Zeitgenossen aus beziehungsweise mit der Reserve locken können.

Laborbericht


Lautsprecher Polk Reserve R100

Impedanzminimum:   3,5 Ohm @ 244 Hz

Nennimpedanz (± 20% Toleranz):   4 Ohm

Empfindlichkeit:   86,5 dB (2,83 V / 1m; 500-5.000 Hz)

 

Laborkommentar

Aus Labor-Sicht ist die kompakte R100 von Polk der Shootingstar des Jahres, messtechnisch zählt sie zum Kreis der absolut Besten, völlig unabhängig vom Preisschild.

Der Frequenzgang auf Achse ist äußerst linear und verläuft innerhalb von ±1,25 dB. Unter 15 Grad erreicht die R100 sogar ±1,1 dB – Lautsprecher, die dazu in der Lage sind, können Sie an einer Hand abzählen. Unter 30 Grad ist das Rundstrahlverhalten des Ringradiators einer Kalotte konstruktionsbedingt unterlegen, aber selbst für das gesamte horizontale Abstrahlverhalten stehen im Mittel erstklassige ±1,3 dB (0/15/30 Grad, 300 Hz - 10 kHz) zu Buche.

Die Balance zwischen Wirkungsgrad und Tiefbass hat Polk gut austariert, die Empfindlichkeit ist mit 86,5 dB (500 Hz - 5 kHz) ordentlich, die Nominal-Impedanz liegt bei 4 Ohm. Erfreulicherweise versucht die R100 keinen Bass vorzutäuschen, daher darf man sie zur Bassunterstützung bei Bedarf etwas näher vor die Rückwand stellen.

Da auch der Wasserfall keinerlei Resonanzerscheinungen aufweist, verdient sich die Polk R100 als erster Lautsprecher bei i-fidelity.net die Labornote »überragend«. Wer mehr Bandbreite wünscht, sollte über einen tief angekoppelten Subwoofer nachdenken.

Ausstattung

Hersteller:   Polk Audio, USA

Vertrieb:   Polk Audio Deutschland, D&M Germany GmbH

Modell:   Reserve R100

Kategorie:   Lautsprecher

Paarpreis:   549 Euro

Garantie:   5 Jahre

Konstruktion:   Zwei-Wege-Bassreflex

Bestückung:   1 x 13,3-cm-Tiefmitteltöner, 1 x 2,54-cm-Hochtöner

Trennfrequenz:   2.700 Hertz

Ausführungen:   schwarz, weiß

Anschluss:   Single-Wiring-Terminal

Abmessungen (B x H x T):   16,6 x 32,5 x 26 cm

Gewicht:   5,5 kg

Kontakt

Polk Audio Deutschland
D&M Germany GmbH
A division of Sound United
An der Kleinbahn 18
41334 Nettetal

Internet:   polkaudio.com

E-Mail:   info-de@polkaudio.com

Telefonnummer:   0 08 00 / 43 67 43 57

Testergebnis

Was bei der neuen Polk Reserve R100 mit Sicherheit nicht stimmt, ist ihr Preis. Schließlich liefert dieser kompakte Zweiwege-Lautsprecher ein Klangbild, das von Natürlichkeit, Präzision und einer Klarheit dominiert wird, die auf diesem Niveau in dieser Preisklasse bis zum heutigen Tage einfach kaum zu erwarten war. Damit gelingt dem amerikanischen Hersteller Polk eine faustdicke Überraschung. Die neue R100 ist vor allem ein Angebot an diejenigen, die für minimalen finanziellen Einsatz maximales Klangvergnügen wünschen. Diesen eigentlichen Widerspruch löst diese Polk bei höchster Zufriedenheitsgarantie vollkommen auf.   Olaf Sturm

Polk Reserve R100
Paarpreis: 549 Euro
Garantie: 5 Jahre
überragend
überragend
sehr gut
sehr gut
überragend

TEST

Lautsprecher:
Polk Reserve R100
Autor:
Olaf Sturm
Datum:
23.03.2021
Hersteller:
Polk