Es ist nach Mitternacht an einem Herbsttag des Jahres 1998. Längst haben die Kollegen das Gebäude verlassen. Nur noch zwei Redakteure sitzen im Hörraum. Selbst nach Stunden ist die Lust am Hören ungebrochen. Schließlich haben die Focal Utopias nie zuvor so großartig gespielt. Dafür verantwortlich sind gewaltige Verstärker aus dem Hause Pass. Es war damals nicht die erste Begegnung mit von Nelson Pass konstruierten Amps, aber sicher die bis dato intensivste. Am Ende der damaligen Session war es draußen hell geworden und wir um entscheidende Hör-Erfahrungen reicher. Erfahrungen, die ich für meinen Teil bis heute nicht missen mag. In der Folgezeit pflegten die Pass-Verstärker und ich ein am besten mit kometenhaft zu beschreibendes Verhältnis. Ab und zu tauchte einer auf und verschwand später wieder. Mit dem Vollverstärker INT-60 ändert sich diese Art der Beziehung allerdings nachhaltig. Wie ist es dazu gekommen?
Geht es darum, Schallwandler mit substanzieller Leistung bei gleichzeitig wunderbaren Klangfarben anzusteuern, greift i-fidelity.net bereits seit Jahren auf diesen Verstärker von Pass zurück. Denn sobald der Amerikaner das verstärkende Zepter in Händen hält, spielt die Musik stets in wunderbaren Farben, mit authentischer Dynamik sowie einer in allen drei Dimensionen fokussierten Bühnenabbildung. Aber natürlich ist ein Pass-Verstärker viel zu schade, um auf Dauer einfach nur Steigbügelhalter zu sein. Es ist folglich an der Zeit, einfach längst überfällig, den INT-60 selber ins Rampenlicht zu stellen. 42 Kilogramm zeigt die Waage an, was bedeutet, dass das Handling aus Sicherheitsgründen immer zu zweit erfolgen sollte. Auf der Rückseite befinden sich zwei Griffe, die den Hebe- und Platzierungsvorgang erleichtern.
Der INT-60 kommt aus gutem Hause. Im Jahre 1991 gründete Nelson Pass die Firma in Kalifornien. Bereits über zwei Jahrzehnte arbeitet Wayne Colburn im Bereich Entwicklung an seiner Seite. Sein Schwerpunkt ist die Konstruktion von Vorverstärkern. In einem Punkt sich die beiden Herren einig: Modeerscheinungen dürfen keinen Einfluss haben. So wundert es sicher niemanden, dass sowohl der INT-60, als auch der größere Bruder INT-250 und der jüngst hinzugekommene INT-25 ausschließlich mit analogen Eingängen bestückt sind. Konzentration auf das Wesentliche führt im High-End-Audio-Bereich fast zwangsläufig zu einem klanglich niveauvolleren Ergebnis. Von dieser Grundidee ist auch die klar strukturierte Frontplatte inspiriert, deren Designsprache mit zunehmender Dauer der Betrachtung immer sinnfälliger wird.
Im Zentrum befindet sich ein großes, rundes Anzeigeelement. Nur bei hohen Pegeln beginnt der Zeiger kleinere Bewegungen auszuführen, welche auf die dann gestiegene Stromabgabe deuten. Ansonsten wirkt die durch eine Glasscheibe geschützte Nadel wie ein Ruhepol. In einen rechteckigen Fenster wird der Pegel angezeigt. Die Lautstärke lässt sich in insgesamt 63 Schritten einstellen. Das geht zum einen gefühlvoll über den optimal anzufassenden Drehregler auf der Front, oder alternativ mit der Fernbedienung. Diese ist so ausgestattet, dass der Betrieb des Amps auch vollkommen berührungsfrei vonstatten gehen kann. Von den vier Hochpegeleingängen sind zwei sowohl als Cinch- wie auch als XLR-Eingang ausgeführt.
Auf der Rückseite befinden sich zwei Vorverstärkerausgänge (Cinch/XLR). Damit kann beispielsweise eine zusätzliche Endstufe angesteuert werden, um Bi-Amping-Betrieb zu ermöglichen. Bei den soliden Lautsprecherterminals sind Plus- und Minuspol leicht versetzt angeordnet, was sogar den Anschluss von geometrisch aus dem Rahmen fallenden Leitungen gestattet. Neben der Netzanschlussbuchse sitzt noch ein Schalter, mit dem sich der Verstärker vollständig vom Netz trennen lässt und – und das ist wichtig – eine Erdungsklemme, die neben Kabelschuhen auch per Bananenstecker kontaktiert werden darf. Als zentraler Massepunkt dienend, kann der Verstärker klanglich davon profitieren, wenn von diesem Ground-Anschluss ein separates Kabel ausschließlich mit dem Schutzleiter einer Steckdose verbunden wird.
Was die Typenbezeichnung verrät, ist die Leistung pro Kanal: 60 Watt an acht Ohm – im Labor haben wir 73 Watt an acht Ohm gemessen. Die Hälfte seiner Watts generiert der Pass im Class A-Betrieb. Die entstehende Wärme wird über große Kühlelemente an den Seiten abgeleitet. Basis für die Leistung ist ein gewaltiger Ringkerntransformator, der selbst bei Lautsprechern, welche der Kategorie »kritisch« zuzuordnen sind, da sie beispielsweise hohe Anforderungen durch niedrige Impedanzwerte stellen, konstant und vor allem stabil Strom liefert. Weiteres Merkmal sind die kurzen Signalwege, was die Möglichkeiten für Einstreuungen minimiert und darüber hinaus dafür sorgt, dass die Signalreinheit erhalten bleibt. Ein gutes Stichwort, denn so wie Pass das Thema analoge Klangkultur pflegt, hätte doch ein Phono-Eingang Sinn gemacht. Entwickler Colburn bestätigt, dass es entsprechende Versuche zur Implementierung einer entsprechenden Platine gegeben hat, aber diese aufgrund der räumlichen Nähe zu einem so großen Transformator nicht die gewünschte Qualität liefern kann. Konsequent im Sinne bestmöglicher Wiedergabeeigenschaften ist folglich die Entscheidung gefallen, Phono-Vorverstärker separat anzubieten.
Im Hörraum erwartet die Dynaudio Confidence 30 den wuchtigen Amerikaner. Verbunden mit Nordost Tyr2-Lautsprecherkabeln geht es sofort los. 2015 hat Nick Cave seinen 15 Jahre alten Sohn bei einem Unfall verloren. Seine traurigen Gedanken werden auf dem Album »Ghosteen« in unglaublicher Intensität hör- und erlebbar. Der Pass zeichnet die schwebenden elektronischen Klangflächen nicht einfach nur in den Raum, sondern lässt sie in einer Griffigkeit entstehen, die einen sprichwörtlich packt. Es ist das Gegenteil eines distanzierten Musikerlebnisses. Cave singt, und die Töne fließen in den schönsten Klangfarben, die ein Verstärker liefern kann. Genau das ist Teil des Pass-Kosmos, es klingt nicht nach Verstärker, es ist einfach Musik.
Angesichts der 114 Watt Leistung an vier Ohm kam die Frage auf, ob das für den Betrieb mit den Dynaudios ausreicht. Hier macht der Pass in maximal vorstellbarer Weise seine Souveränität geltend. Dazu darf dann Madonnas »Madame X« ihren Beitrag liefern. Denn nach 48 Sekunden des Titels »Dark Ballet« muss jeder Verstärker Farbe bekennen. Tieftonschläge, die an ein Unterseebeben erinnern, sollten sich exakt so anhören. Im Gegensatz zu anderen Verstärkern, die diese Impulse andeuten, oder eine Stufe besser noch mit dem passenden Druck versehen, schlägt der Pass obendrein mit kontrolliert-physischer Wucht zu. Da fällt einem nicht nur beim ersten Hören die Kinnlade runter. Das Thema Leistung ist kein Thema. Wer aufgrund von Lautsprechern, Raum und Hörgewohnheiten tatsächlich noch mehr Power benötigt, kann einfach auf den größeren INT-250 wechseln.
Jegliche Form von Live-Aufnahme entwickelt per Pass ein lustvolles Suchtpotenzial. Da grooved sich Nils Landgrens Funk Unit auf »Live In Stockholm« durch die Titel und wir werden Bestandteil des Publikums. Klingt dieses Album mit anderen Verstärkern abgehört bereits nicht verkehrt, so löst der INT-60 jegliche räumliche Form der Beschränkung auf. Man kann mühelos Trompete, Bass und Schlagzeug einzeln folgen, oder sich einfach am Zusammenspiel erfreuen. Das entscheidet nicht der Verstärker, das entscheiden Sie als Hörer. Ein weiteres Kriterium ist der lebendige Rhythmus, den der Amp liefert. Er arbeitet sich nicht im Stil einer Maschine, die nur stumpf Takte abarbeitet, durch die Musik, sondern schafft eine glaubwürdige Form von Lebendigkeit, die i-fidelity.net in dieser edlen Form von einem Vollverstärker noch nicht gehört hat.
Vollends überzeugend sind Beethovens Klavier-Konzerte in einer aktuellen Einspielung als Doppel-SACD mit Ronald Brautigam. Die Besonderheit bei dieser Aufnahme ist die Nutzung historischer Flügel. Unter Leitung von Michael Alexander Willens und der Kölner Akademie ist eine hörenswerte, weil vor allem dynamische Interpretation entstanden. Mit dem Pass verschwindet tatsächlich jegliche Distanz zwischen Musik und Hörer. Da bleibt nichts, was auf der Aufzeichnung festgehalten wurde, dem Hörer verborgen. Das Interagieren zwischen Flügel und Orchester wirkt teilweise friedlich, dann wieder spannungsgeladen, aber vor allem niemals berührungslos. Mit dem Pass INT-60 kann man im Jahr des 250. Geburtstags von Ludwig van Beethoven dessen Klavierkonzerte in einer Intensität, Klangfarbe und Räumlichkeit genießen, die Maßstäbe setzend ist.
Messwerte Vollverstärker Pass INT-60
Leistung:
Nennleistung @ 4 Ohm (1% THD): 114 W
Nennleistung @ 8 Ohm (1% THD): 73 W
Verzerrungen:
Klirrfaktor (THD+N, 10 Watt @ 4 Ohm): 0,048 %
IM-Verzerrungen SMPTE (5 Watt @ 4 Ohm): 0,146 %
IM-Verzerrungen CCIF (5 Watt @ 4 Ohm): 0,063%
Störabstände:
Fremdspannung (- 20 kHz): -88,5 dB
Geräuschspannung (A-bewertet): -91,8 dB
Sonstige:
Obere Grenzfrequenz (-3dB / 10 W @ 4 Ohm): 50 kHz
Kanaldifferenz: 0,05 dB
Eingangswiderstand: 99 kOhm
Stromverbrauch:
Stand-by: 1,1 W
Leerlauf: 254 W
Hersteller: Pass Laboratories, USA
Vertrieb: Audio Components, Hamburg
Modell: INT-60
Kategorie: High-End-Vollverstärker (Class A/Class A/B)
Preis: 11.000 Euro
Garantie: 5 Jahre
Eingänge: 4 x Hochpegel, zwei davon symmetrisch nutzbar
Vorverstärker-Ausgänge: 1 x Cinch, 1 x XLR
Lautsprecher-Ausgang: Single
Fernbedienung: im Lieferumfang
Abmessungen (B x H x T): 48 x 23 x 54 cm
Gewicht: 42,2 kg
Audio Components Vertriebs GmbH
Leverkusenstr. 3
22761 Hamburg
Internet: www.audio-components.de
E-Mail: info@audio-components.de
Audio Components auf Facebook
Telefon: 0 40 / 40 11 303 - 80
Telefax: 0 40 / 40 11 303 - 70
Mit seiner überragenden Klangkultur ergattert der Pass INT-60 die Referenzposition unter den Vollverstärkern. Damit hat i-fidelity.net einen neuen Flottenchef. Obwohl die Ausstattung puristisch ist, gibt es in der Praxis keinerlei Einschränkungen zu befürchten. Im Gegenteil prädestiniert ihn gerade dieser Aspekt nebst der soliden und massiven Bauweise für ein langes Leben, das seinem Besitzer dauerhaft köstlichen Musikgenuss bieten wird. Gratulation an Nelson Pass und Wayne Colburn für diese Leistung! Olaf Sturm
Pass INT-60 |
Preis: 11.000 |
Garantie: 5 Jahre (AC-Sondergarantie)) |