Mit der Diamond-Serie bringt Vincent eine Sonderedition des erst im letzten Jahr überarbeiteten, klanglich exzellenten Premium-Vorverstärkers SA-T7MK auf den Markt. Warum machen die das?

Gut zu wissen, dass ich mir das selbst eingebrockt habe; es musste ja unbedingt der 800er sein. Mit rekordverdächtigen 39 Kilogramm Gewicht in den Armen ahnte ich allerdings noch nicht, dass mich später auch Gedanken an sprachliche Superlative plagen würden. Schließlich heil im Rack angekommen, werden erst dort die wahren Ausmaße dieses Boliden deutlich: Der Nu-Vista 800 überragt alle anderen Komponenten um drei Zentimeter in der Breite und steht mit rund einem halbem Meter Tiefe sogar etwas über den Rackboden hervor. Dabei macht sich eine gradlinige Formensprache gar nicht erst die Mühe, seine schiere Physis zu kaschieren, vielmehr unterteilen jeweils zwei vertikal und zwei horizontal verlaufende Ausfräsungen die Fläche der dickwandigen, abgeschrägten Aluminiumfront und akzentuieren so ihre massive Kontur. Mit diesen Details hebt sich das Design der Nu-Vista-Serie deutlich vom zurückhaltenden Auftritt der übrigen Produktlinien aus gleichem Hause ab und sorgt für eine «sportlich» schnittige Erscheinung mit offensivem Charakter. Den unterstreicht vor allem ein wirklich besonderes Gestaltungsmerkmal: Das Frontpaneel ist seitlich mit den mächtigen Kühlrippen fluchtend eingeschnitten, sodass deren Schlitze bis nach vorn fortgeführt werden.

Auf dem Frontpaneel unterbrechen Drehregler für die Eingangswahl und die Lautstärkeeinstellung - mit dem Durchmesser einer Kaffeetasse - die strenge Linienführung, unter ihnen finden sich demgegenüber winzig anmutende Taster: Einer schaltet den Standby-Betrieb, der andere ist scheinbar extra dafür gedacht, die Beleuchtung des mittig positionierten Punktmatrix-Displays zu steuern. Die zum Lieferumfang gehörende Metall-Fernbedienung greift das Gerätedesign auf, sie hat ebenfalls eine Display-Taste und gestattet neben der Quellwahl auch die Stummschaltung. Ein Menü sucht man vergebens, denn der Nu-Vista 800 erweist sich in bestem Sinne als Verstärker alter Schule, der sich zeitgenössische Features wie die freie Benennung von Eingängen oder einen Pegelabgleich zwischen ihnen spart und erst recht keine Klangregelung vorsieht – Bravo!

Eine solche Reduktion auf das Wesentliche darf man sicherlich auch als dezenten Verweis auf den bedingungslos klangorientierten Anspruch verstehen, mit dem Firmengründer und Chefentwickler Antony Michaelson die Nu-Vista-Verstärker entworfen hat. Sie nehmen innerhalb des Portfolios insofern eine Sonderstellung ein, als bei ihrer Entwicklung - entgegen der üblichen Herangehensweise von Musical Fidelity - keine Rücksicht auf den Verkaufspreis genommen wurde. Das ist im High-End-Segment freilich weder etwas Neues, noch ein Qualitätsmerkmal an sich. Kenner der Marke dürfen das Firmencredo betreffend jedoch beruhigt sein, denn anstatt ein Statussymbol zu schaffen, wollte Antony Michaelson schlicht seinen besten Verstärker bauen. Der Nu-Vista 800 steht daher gewissermaßen auch als Vermächtnis eines leidenschaftlich engagierten Entwicklers da, der sich allmählich zurückzieht und die Geschicke seiner Firma inzwischen in treue Hände übergeben hat.

Zur 2014 gestarteten Referenzserie aus Wembley gehören außer ihm die in der aktuellen Ausgabe von hifi & records besprochene Phono-Stufe Nu-Vista Vinyl, ein CD-Spieler und der Vollverstärker Nu-Vista 600, für den im Wesentlichen das Konzept des 800ers in kleinerem Maßstab realisiert wurde. Daher unterscheiden sich die beiden Amps in erster Linie hinsichtlich ihrer Ausgangsleistung, die im Falle des 600ers nominell beachtliche 220 Watt an acht Ohm beträgt - bei gleicher Last steuert der Nu-Vista 800 seine zwei Paar Lautsprecherausgänge sogar mit in unserem Labor gemessenen 283 Watt pro Kanal an. Zwischen deren soliden WBT-Polklemmen sind vier mit RCA-Buchsen ausgeführte Hochpegeleingänge und ein symmetrischer XLR-Eingang angeordnet. Außerdem stellt das verkupferte Anschlussfeld einen RCA-Ausgang mit fixem Pegel sowie einen variablen, ebenfalls mit RCA-Terminals versehenen Vorstufenausgang bereit, der auch Bi-Amping ermöglicht.

Unter den schweren Deckeln der Nu-Vista-Geräte offenbart sich nicht nur im Vergleich mit ihren Teamkollegen eine andere Welt: Für die einzigen Hybrid-Designs in seinem Angebot verwendet Antony Michaelson keine klassischen Röhren, sondern sogenannte Nuvistoren. Bei diesen für die Serie namensgebenden Röhren handelt es sich um kleine Trioden, deren Form und Größe an Backofen-Lämpchen erinnert. Während ihre Böden aus Keramik bestehen, werden ihre Gehäuse im Gegensatz zu allen anderen Röhrentypen vollständig aus Metall hergestellt und verbreiten folglich optisch keinen Röhrencharme. Deshalb strahlen Leuchtdioden die Nuvistoren während ihrer kurzen Aufwärmphase in einem warmem Gelbton an und beleuchten sie danach, genau zur Display-Farbe passend, grün. Unterhalb der vorderen Gehäusekante verläuft übrigens ein schmaler Leuchtstreifen, der demselben Farbmuster folgt, aber unter Umständen zunächst nicht auffällt, weil die Display-Tasten tatsächlich fünf Szenarien durchschalten. Die Beleuchtung der Röhren, der Anzeige sowie das »Unterbodenlicht« lassen sich separat und in allen denkbaren Kombinationen aktivieren; darüber hinaus können alle Leuchtsegmente abgeschaltet werden.

Antony Michaelson setzt auf Mini-Trioden

In technischer Hinsicht sollen sich Nuvistoren gegenüber Glaskolben durch geringeres Rauschen, weniger Stromverbrauch und minimale Serientoleranzen auszeichnen. Zudem sind sie kaum anfällig für Mikrophonie, was sie aus klanglicher Sicht besonders attraktiv macht. Dass sich die Ende der Fünfziger Jahre zur Serienreife entwickelten Mini-Trioden dennoch im HiFi-Segment nie durchgesetzt hatten, ist wohl in erster Linie dem kurz darauf folgenden Siegeszug der Transistoren geschuldet. Dessen ungeachtet entwarf Antony Michaelson 1999 die erste Nu-Vista-Serie, deren Komponenten in limitierter Stückzahl hergestellt wurden, da ein Mangel an passenden Röhrensockeln herrschte. Als sich schließlich beim besten Willen keine Halterungen mehr auftreiben ließen, fand die Baureihe nach nur drei Jahren ein jähes Ende. Die Idee verfolgte Michaelson jedoch weiter, bis er 2012 schließlich doch noch fündig wurde und kurzentschlossen den gesamten aufgespürten Bestand aufkaufte. Im Zuge dieses Neuanfangs konnte er dann auch erstmalig Nuvistoren mit SMD-Technologie kombinieren und dadurch mehr Gestaltungsspielraum bei der Entwicklung der durchgehend in Doppel-Mono-Topologie ausgelegten Verstärkerschaltung nutzen.

Die mit vier Nuvistoren bestückte Vorstufensektion teilt sich mit den Eingängen eine Platine, um die Signalwege möglichst kurz zu halten. Das Layout der Endstufe basiert auf dem Schaltungskonzept der Monoblöcke M8-700m, das seinerseits auf den inzwischen eingestellten Titan zurückgeht, mit dem sich Musical Fidelity zum ersten Mal ungehemmt auslebte. Im Nu-Vista 800 übernehmen insgesamt zehn bipolare Leistungstransistoren von Sanken die Endverstärkung; sie sind direkt an den Kühlkörpern montiert und werden jeweils von einem großen Elko flankiert. Die Schaltungen werden, dem kanalgetrennten Aufbau entsprechend, von zwei großen Ringkerntrafos gespeist, die jeweils eine Kapazität von 1,5 kVA haben - noch Fragen?

Da wir ein bestens eingespieltes Gerät erhalten haben, kann ich mich sofort daran machen, das Dringliche zu klären: Wie klingt das Statement von Musical Fidelity? Besonders aufgrund der vorangegangenen Erfahrung mit dem M3i hege ich diesbezüglich sehr hohe Erwartungen, denn der ließ als limitierte Neuauflage des Einsteiger-Amps mit seiner außerordentlichen Musikalität aufhorchen - allein die Perspektive, das andere Ende der Produktrange zu erleben, ließ mein Herz deshalb schon ein wenig höher schlagen. Fast so sehr wie die Musik einer charmanten jungen Dame namens Charlotte de Witte, die vor drei Jahren begann, von ihrer Heimat Gent aus die Weltbühne des Techno im Sturm zu erobern. Der unverwechselbare, vergleichsweise melodiöse Stil dieses sehr vielseitigen Nachwuchstalents, auf das ich erst kürzlich aufmerksam geworden bin, fasziniert mich seither; also macht mein Favorit »Closer« aus der gleichnamigen EP den Anfang. Dabei fällt sofort auf, dass der Nu-Vista 800 auch das allerletzte Quäntchen rhythmischer und tonaler Variation, das in dieser Produktion steckt, herausholt, aber etwas irritiert mich gleichzeitig: Die aufnahmeseitig nicht besonders tiefen Beats erscheinen tonal ein klein wenig enthaltsam vorgetragen.

Konzentrierte Energie blitzschnell

»Chain Reaction« von Rodriguez Jr. kann sehr eindrucksvoll aufzeigen, woher dieser Eindruck rührt: Der Nu-Vista 800 präsentiert die oberen Basslagen so schlackenfrei, wie ich es nie zuvor gehört habe. Die wesentlich voluminöser abgemischten, «knüppelnden» Beats dieses Titels schleudern mir tatsächlich ansatzlos entgegen und haben mächtig Substanz. Auch im Tiefbass lässt der Nu-Vista 800 rein gar nichts anbrennen, die abgründigen Basslines durchwalken den Raum, ohne jene sperrige Schwere aufzuweisen, die sie häufig mitschleppen.

Das Cécile Verny Quartet aus Freiburg im Breisgau taucht den Hörer mit dem 2006 veröffentlichten Album »The Bitter And The Sweet« in ein Wechselbad der Gefühle, das der Nu-Vista 800 mit schonungsloser Intensität inszeniert: Eben noch wegen seiner ungebremsten Spielfreude von der Beschwingtheit des Titelsongs infiziert, nimmt mich jetzt die melancholisch angehauchte Grundstimmung von «Soft Snow» gänzlich ein. Der Nu-Vista 800 lässt Cécile Vernys ausdrucksstarke Gesangstimme vollkommen natürlich klingen und widmet sich der atmosphärischen Dichte dieses Titels mit einer Einfühlsamkeit, die nicht mehr steigerbar wirkt. Auch das zart gespielte Piano wird hier zu einem Erlebnis für sich: Der Nu-Vista offenbart die ganze liebliche Wärme, die das Instrument in dieser Aufnahme hat, und jede einzelne Note erklingt abrupt aus dem Nichts heraus.

»The Way Some People Live« aus dem Album »City Of Broken Dreams« vom Giovanni Guidi Trio wäre für mich einer der fünf Titel für die einsame Insel, besonders seine Melodie übt auf mich immer wieder eine geradezu magische Anziehungskraft aus. Zudem ist diese hervorragende Einspielung von ECM insbesondere ein verlässlicher Indikator für das Auflösungsvermögen eines Testkandidaten. Inzwischen war zwar längst klar geworden, dass der 800er davon reichlich mitbringt, aber wie sich nun das Spiel am Schlagzeug darstellt, hatte ich nicht geahnt. Wenn João Lobo die Reihe von Becken im Vordergrund der großen Bühne antupft, ist selbst der hölzerne Klang des Schlagstabes deutlich zu vernehmen; sodann treten die Konturen der ausschwingenden Teller ungemein plastisch hervor, während aus der Tiefe des Raumes mit dem Besen ganz sachte gestrichene Becken leise ihren metallischen Glanz versprühen. Zudem lädt der Nu-Vista 800 jedes feinste Detail dieses subtilen Klanggeschehens atmosphärisch auf und gibt sich völlig dem musikalischen Fluss hin – unwiderstehlich.

In voller Farbenpracht

Die Joseph-Haydn-Stiftung hat im Herbst 2014 mit Haydn 2032 ein bemerkenswertes Langzeit-Projekt ins Leben gerufen: Anlässlich des 300. Geburtstages des Komponisten im Jahr 2032 spielt Giovanni Antonini mit dem Kammerorchester Basel und dem Il Giardino Armonico sukzessive dessen 107 Sinfonien live ein. Die auf der sechsten Veröffentlichung enthaltene Symphonie Nr. 26 in d-Moll (Hob. I:26), »Lamentatione«, zählt zu den frühen Sturm und Drang-Symphonien und ist neben der aus zwei Violinen, Viola, Cello und Kontrabass zusammengesetzten Streichergruppe mit Flöte, Horn, Oboe und Fagott besetzt. Der Nu-Vista 800 positioniert alle neun Instrumente perfekt sortiert auf einer großzügig dimensionierten Bühne und kann auch die Violinen tonal unverkennbar von der Viola abgrenzen. Zugleich spielt er bis in die höchsten Tonlagen hinauf absolut offen und wunderbar luftig, die Violinen strahlen in voller Farbenpracht und schweben durch den ersten Satz wie auf Federn gebettet - eine spektakulär souveräne Vorstellung.

Messwerte Vollverstärker Musical Fidelity Nu-Vista 800

Leistung:
Nennleistung @ 4 Ohm (1% THD):   500 W
Nennleistung @ 8 Ohm (1% THD):   283 W

Verzerrungen:
Klirrfaktor (THD+N, 10 Watt @ 4 Ohm):   0,0046 %
IM-Verzerrungen SMPTE (5 Watt @ 4 Ohm):   0,0060 %
IM-Verzerrungen CCIF (5 Watt @ 4 Ohm):   0,0012%
 
Störabstände:

Fremdspannung (- 20 kHz):   -89,0 dB
Geräuschspannung (A-bewertet):   -93,0 dB
 
Sonstige:
Obere Grenzfrequenz (-3dB / 10 W @ 4 Ohm):   79 kHz

Kanaldifferenz:   0,13 dB

Eingangswiderstand:   39 kOhm

Stromverbrauch:
Stand-by:   0,5 W
Leerlauf:   ca. 114 W

Hersteller:   Musical Fidelity Ltd., Wembley / UK

Vertrieb:   Reichmann Audiosysteme

Modell:   Nu-Vista 800

Preis: 
  9.999 Euro

Garantie:   2 Jahre

Kategorie:   Vollverstärker

Eingänge:
   4 x Hochpegel RCA, 1x Hochpegel XLR

Ausgänge:   1 x Hochpegel RCA, 1x Vorstufenausgang RCA (Pegel variabel)

Lieferumfang:   Netzkabel, Bedienungsanleitung, Garantieanforderungskarte

Ausführungen:
   Silber, Schwarz

Abmessungen (B x H x T):
   48,3 x 18,7 x 51 cm

Gewicht: 
  39 Kg

Reichmann Audiosysteme

Graneggstraße 4

78078 Niedereschach


Internet:  www.reichmann-audiosysteme.de

E-Mail:  info@reichmann-audiosysteme.de

Telefon:   0 77 28 / 10 64

Der Nu-Vista 800 präsentiert sich in eigenständigem Design und perfekter Verarbeitung, seine Ausstattung umfasst mit fünf Eingängen (4x RCA, 1x XLR) sowie einem fixen und einem regelbaren Ausgang alles Wesentliche. Klanglich zeichnet sich dieser Musical Fidelity vor allem durch blitzschnelles Impulsverhalten und phänomenale Transparenz aus, zudem bewegen sich sowohl sein dynamisches als auch sein tonales Differenzierungsvermögen auf höchstem Niveau. Dank der völligen Ausgewogenheit dieser essentiellen Qualitäten ist seine Spielweise jederzeit flüssig, bewegend atmosphärisch und zutiefst musikalisch. Kurz und schmerzlos: Der Musical Fidelity Nu-Vista 800 ist ein traumhaft guter Verstärker!   Marius Donadello

Musical Fidelity Nu-Vista 800
Preis: 9.999 Euro
Garantie: 2 Jahre
überragend
sehr gut
sehr gut
überragend
überragend

TEST

Verstärker:
Musical Fidelity Nu-Vista 800
Autor:
Marius Donadello
Datum:
24.09.2018
Hersteller:
Musical Fidelity