Es ist vielleicht 15 Jahre her, dass ich Chario in Merate im Norden Italiens besuchen durfte. Geblieben ist unter anderem der Eindruck, dass sich diese damals noch kleine Manufaktur mit großer Hingabe und Detailversessenheit vor allem dem Gehäusebau widmete. Schon damals waren die Lautsprechergehäuse mit Echtholzwangen unverwechselbares Markenzeichen von Chario. Sämtliche Lautsprecher des inzwischen deutlich gewachsenen Unternehmens sehen aus wie aus dem Vollen gefräste Skulpturen. Typisch für Chario sind auch heute noch die weichen Rundungen der massiven, aus Nussbaum oder Kirschholz gefertigten Seitenwangen.

Mario Murace, der kreative Kopf und Entwickler der Firma, wies mich seinerzeit darauf hin, dass diese Formgebung nicht allein dem Design geschuldet sei, sondern vielmehr akustische Vorteile mit sich bringe. Seine Begründung: Da die Lautsprecher den Schall ausgehend vom Membran-Zentrum im mittleren und tiefen Frequenzbereich in alle Richtungen »fließen« lassen, »laufen« diese Schallwellen auch über die Front zu den Gehäusekanten, an denen sie mehr oder weniger abrupt gebeugt werden. Und genau dies führe bei Kanten mit geringem Radius zu starken Beugungen und mithin zu der Entstehung von Sekundärschallquellen, die sich mit dem Primärschall, also dem Schall der Lautsprechermembranen, überlagern. Am Abhörort, so Murace weiter, kommen so mehrere Schallwellen zeitversetzt an, was zu teilweisen Auslöschungen und Anhebungen, also sogenannten Interferenzeffekten führt – die Übertragungsfunktion sei dann mehr oder weniger wellig in diesem Bereich. Ein kugelförmiges Gehäuse wäre demnach das Ideal. Eine deutliche Verbesserung schaffen aber auch schon Kanten mit großen Radien wie bei den Chario-Boxen.

Die inneren Werte

Nach vielen Jahren des Forschens und Entwickelns hat Mario Murace unter anderem eine weitere wichtige Erkenntnis gewonnen. Nämlich die, dass für eine gute Detailauflösung in den Mitten eine leichte Membran mit starkem Antrieb der richtige Weg zum Ziel ist. So setzt der Entwickler heute in den Top-Serien Hochtöner ein, die in der Lage sind, bis in den Mitteltonbereich zu spielen. Bei der Delphinus aus der Constellation-Serie liegt die Übergangsfrequenz zum Tiefmitteltöner bei 1.500 Hertz. Um diesen tiefen Übergang verzerrungsfrei zu gewährleisten, muss die Membran eine deutlich größere Fläche vorweisen. 38 Millimeter sind es bei Muraces Hochtöner. Nun kann man sich fragen: Was spricht eigentlich gegen noch größere Hochtöner? Die Tatsache, dass große Membranen in den Höhen stark bündeln und zudem die Membranen so schwer werden, dass der Antrieb die schnellen, feinen Schwingungen nicht mehr umsetzen kann. Ein guter Kompromiss sind die 38 Millimeter großen Kalotten, da sie in den höchsten Frequenzen noch angemessen breit abstrahlen und dennoch in den Mitten ausreichend Fläche haben, um verzerrungsarm zu spielen. Ich erinnere zu dem Thema an das Lautsprecher-Modell LQL 200 von Ecóuton Audiolabor aus den 90er-Jahren. Diese Zweiwege-Standbox hatte wohl mit den größten »Hochtöner« ihrer Zeit. Auch die tiefe Übergangsfrequenz dieses Hochtöners zum etwa 20 Zentimeter großen Tieftöner im Transmission-Line-Gehäuse von  über 1.000 Hertz war rekordverdächtig. Das Wichtigste jedoch war, dass diese Lautsprecher extrem detailreich klangen und eine selten gehörte weiträumige Darstellung boten.

Optimierte Verteilung des Schalls

Um die Richtwirkung des Hochtöners an die des 17 Zentimeter großen Tiefmitteltöners im Übergangsbereich anzupassen, spendierte Mario Murace der T38-Kalotte einen sogenannten »Wave Guide«. Diese Schallführung sorgt dafür, dass das Rundstrahlverhalten beider Chassis auch im Übernahmebereich relativ gleich ist. Typischerweise bündelt nämlich ein Tiefmitteltöner zu höheren Frequenzen immer stärker, während eine übliche 25 Millimeter große Kalotte bei der Übernahmefrequenz von gängigen 2.500 bis 3.000 Hertz extrem breit abstrahlt. Das mag im Direktschall auf Achse gemessen nicht ersichtlich sein, in andere Raumrichtungen gemessen jedoch dafür umso mehr. Man weiß, dass für den guten Ton in Wohnräumen nicht nur der direkt abgestrahlte Schallanteil, sondern auch die über Wände, Boden und Decke reflektierten Schallanteile verantwortlich zeichnen. Außerdem sorgt die kurze Schallführung für einen erhöhten Wirkungsgrad im unteren Hochtonbereich und mithin für mehr Pegelreserven. Die Zuteilung der Frequenzbereiche auf die beiden Chassis erfolgt bei der Delphinus dank guter Treiber mit einer simpel aufgebauten Frequenzweiche.

Das aus HDF (High Density Fibreboard) gefertigte Gehäuse der Delphinus hat ein Volumen von etwa 31 Liter. Um den Tiefmitteltöner in den unteren Frequenzregionen zu entlasten, verpasste Murace der Box eine Bassreflexabstimmung. Eine interessante Lösung ist die Abstrahlung des Bassreflexanteils nach unten. Um dies sauber zu gewährleisten, stehen die Boxen auf etwa zwei Zentimeter hohen Gummifüßen. Sicherlich darf die Delphinus auch im Regal einen Platz finden, doch besser für eine ungetrübte räumliche Darstellung ist eine freie Aufstellung auf Ständern. Diese bietet Chario passend zu den Lautsprechern natürlich auch an – im Preis von 1.300 Euro sind sie sogar schon enthalten.

Der musikalische Charakter

Vor dem Hörtest kommt die Aufstellung. Wie bei Zwei- und Mehrwegeboxen üblich, sollte das akustische Zentrum – das etwa zwischen Mittel- und Hochtöner liegt – auf Ohrhöhe sein. Entsprechend sollte die Sitzhöhe darauf angepasst sein. Ober- und unterhalb ist die Übertragungsfunktion aufgrund von unterschiedlichen Laufzeiten der Schallanteile von Tief- und Hochtöner nicht ganz ausgewogen. Auslöschungen und Anhebungen im Übergangsbereich der beiden Chassis sind dann an der Tagesordnung. Im Hörtest erwies sich zudem eine leichte Einwinkelung in Richtung Hörplatz als vorteilhaft. Damit ist auch der nötige Glanz etwa bei Perkussion vorhanden, der aufgrund der Bündelung in den obersten Frequenzlagen ohne Einwinkelung etwas verloren geht. Hier ist Ausprobieren angesagt, während der Geschmack entscheidet. Sie die kleinen Charios nur leicht eingewinkelt, klingt der Hochtonbereich nie aufdringlich überzogen, sondern eher seidig zurückhaltend. Wenngleich der Bass nicht extrem tief reicht, so hat er doch Substanz und Nachdruck.

Auffallend präzise ist die Mittenlokalisierung der Delphinus. Sie schafft es, Stimmen wie etwa die von David Roth auf »Vincent« wie festgenagelt, ja greifbar mittig zu platzieren. Dies ist sicherlich hauptsächlich ein Verdienst der definierten, leichten Bündelung im Mitteltonbereich. Bei José Carreras' »Credo« aus »Misa Criolla« ist die Mittendarstellung ebenfalls sehr überzeugend. Das Ensemble um Carreras herum wird hier schön in die Raumtiefe gestaffelt, wenngleich weniger breit als über manche andere Box. Bei großorchestralen Stücken verliert die bildschöne Chario Delphinus nie den Überblick. Hier ist die Darstellung bei hohen Pegeln nicht dicht, sondern bleibt immer noch überschaubar. Einzelne Instrumente lassen sich weiterhin gut orten beziehungsweise aus dem Klangwust heraushören. Auch bei der Live-Aufnahme von Patricia Barbers »Touch Of Trash« aus »Companion« kann man die Sängerin präzise lokalisieren. Den Bass gibt die Delphinus souverän wieder, und auch bei einem Perkussion-Gewitter bleibt sie gelassen und bietet eine kontrollierte Wiedergabe. In punkto Tonalität mag es vielleicht noch korrektere Boxen geben, Stimmen etwa haben einen leicht vordergründigen Charakter. Auf der anderen Seite ist es aber genau das, was eben diese Mittenauflösung – die an Studiolautsprecher erinnert – garantiert. Sie ist die große Stärke der Chario Delphinus.

Labor-Kommentar

Die Abstimmung der Chario Delphinus verrät eine professionelle Handschrift. Sie besitzt einen für ihre Größe kräftigen Bass, der für Klangvolumen sorgt. Die Mitten verlaufen recht linear, steigen oberhalb von 1 Kilohertz sanft an, während die Chario in den ohrempfindlichen Präsenzlagen (2-5 Kilohertz) einen Tick vorsichtiger zu Werke geht. Diese Balance ist einerseits ausgewogen, andererseits ist sie hervorragend zum Langzeithören geeignet. Wegen des Bündelungsverhaltens der großen Hochtonkalotte steigt der Frequenzgang auf Achse an, zwischen 15 und 30 Grad stellt sich ein glatter Verlauf ein. Je nach erwünschter Hochtondosierung die Chario also nicht stark eingewinkelt auf den Hörplatz ausrichen, sondern wenig bis gar nicht einwinkeln. Das akustische Zentrum auf Ständern liegt praxisgerecht bei cirka 90 Zentimetern, die Wahl der Sitzhöhe ist unkritisch. Der Impedanzverlauf streift schon mal die 3-Ohm-Marke, das Ausschwingen im Wasserfall ist tadellos. Alles in allem saubere Arbeit.

 

Abmessungen:   23 x 41 x 33 Zentimeter (B x H x T)
Gewicht:   12 Kilogramm
Gehäuseausführungen:   Seitenwangen aus Nussbaum oder Kirsche, HDF
Lautsprecherständer (optional) aus HDF
Abmessungen:   30 x 63 x 35 Zentimeter (B x H x T)
Gewicht:   6 Kilogramm

Chario Deutschland
Am Berg 13
53913 Swisttal Strassfeld
Telefon: 02251 / 970 043
Telefax: 02251 / 970 044

www.chario.it

Beim Fazit komme ich gerne immer wieder auf die ersten Klangeindrücke zurück, weil sie es sind, die den Charakter eines Lautsprechers ausmachen. Nach längeren Hörsitzungen lassen sich diese typischen Eigenschaften nicht mehr so leicht herausschälen, da unser Gehör sich recht schnell an einen Klang gewöhnt respektive Abweichungen vom Gewohnten ausgleicht. Ein gutes Maß für die Authentizität der Darstellung bei guten Aufnahmen ist, wie lange man ohne »Ermüdung« Musik mit der Anlage hören kann, was letztlich davon abhängt, wieviel das Gehör auszugleichen hat. Mit der Chario Delphinus ist das jedenfalls kein Problem: Mit ihr kann man seine CD- und Plattensammlung durchforsten und sehr lange genussvoll und mit Spaß Musikhören, ohne dabei zu ermüden.     Michael Jansen

Chario Constellation Delphinus
Preis: 1.300 Euro/Paar inklusive Ständer
Garantie: 5 Jahre
sehr gut
gut - sehr gut
sehr gut
sehr gut

TEST

Lautsprecher:
Chario Delphinus
Autor:
Michael Jansen
Datum:
29.11.2010
Hersteller:
Chario