Canton hat seine Top-Lautsprecherlinie überarbeitet. Kein leichtes Unterfangen, wenn man bedenkt, dass die »Reference K«-Serie seit 2015 bis heute Maßstäbe setzt. Mit den neuen Standboxen Reference 3 begibt sich i-fidelity.net auf eine Reise in die Welt des Wohlklangs.

Die Südspitze von Manhattan ist überschwemmt. Dort, wo eben noch Autos fuhren, bahnt sich ein Schiff den Weg durch New Yorks Straßenschluchten. Während die Temperatur im Roland-Emmerich-Film »The Day After Tomorrow« weiter fällt, nimmt sie beim Zuschauer kontinuierlich zu. Angst macht sich breit. Natürlich gibt es verschiedene Möglichkeiten, dieses Szenario mitzuerleben. Dabei reicht die Spannbreite vom vollwertigen Heimkino bis zum Laptop samt eingebautem Lautsprecher.

Logisch, dass das Maß emotionaler Ergriffenheit vom eingesetzten Equipment abhängig ist. Das Brechen eines Eisblocks hört sich über den eingebauten Zwei-Zentimeter-Breitbandlautsprecher eines Computers an, als ob ein Streichholz zerbricht. Oder anders formuliert: einfach lächerlich. Der Einsatz eines Kopfhörers kann hier natürlich Abhilfe schaffen, vorausgesetzt, dass er von einem richtigen, nur für diesen Zweck konzipierten Verstärker angetrieben wird. So ein Gerät kommt aus Bergisch-Gladbach.

Gut für die Ohren

Neben den exzellenten Phonovorverstärkern hat sich Lehmannaudio in den vergangenen Jahren auch mit speziellen Amps für Kopfhörer einen Namen gemacht: beginnend mit dem Rhinelander (um 370 Euro) über den Linear (um 770 Euro) bis hin zur Edelversion, dem Linear SE, der ab 1.450 Euro zum Eigentumswechsel bereit ist. Wer diese Maschine mit exklusivem Echtholzfurnier erwerben möchte, muss 350 Euro mehr investieren. Hört sich nach viel an, aber ein einziger Blick auf das perfekte Gehäuse relativiert den Mehrpreis. In der Redaktion will keiner mehr Besitzer eines »nackten« Linear SE sein.

Neben Firmenlogo, blauer Betriebs-LED und präzise laufendem Lautstärkeregler befinden sich zwei parallele 6,3-Millimeter-Klinkenausgänge auf der zwölf Zentimeter breiten Front. Kunden können sich hier übrigens ihren individuellen Linear SE aufbauen, denn Lehmannaudio bietet je drei Farben für Frontplatte und Knopf an: Aluminium, schwarzes Aluminium und Chrom. Die leuchtende LED gibt es sogar in sechs Farbvarianten. Gekrönt wird das Zusammenstellen allerdings von acht (!) verschiedenen Gehäusevarianten. Angesichts der Stilsicherheit bei den Auswahlmöglichkeiten kann man kaum glauben, dass Firmeninhaber Norbert Lehmann Ingenieur ist. Diese sollen ja bekanntlich in puncto Ästhetik häufig beratungsresistent sein.

Darauf angesprochen, erklärt Lehmann, dass er nach wie vor die hochwertige Technik verantworte, aber auch ein Verständnis dafür entwickelt hat, dass das Auge bei der Kaufentscheidung im High-End-Segment eine Rolle spielt. Deshalb hat er den Designer Guido Gutenstein mit der Formgebung für den Linear SE beauftragt. Großes Kompliment für diese Entscheidung, zumal andere Marktteilnehmer entweder nicht willens oder in der Lage sind, diesen für das Produkt so wichtigen Schritt zu gehen. Umgekehrt gibt es natürlich leider auch die Produzenten, die hinter einer schicken Front veraltete oder unzureichende Technik verstecken.

Hinter schöner Fassade …

… verbirgt sich beim Linear SE hingegen eine sinnvolle technische Rezeptur, für die offensichtlich nur beste Zutaten verwendet wurden. Die Lautstärke für den Kopfhörer und den ebenfalls vorhandenen Vorverstärkerausgang (!) wird über ein Potentiometer von Alps geregelt. Von der Platine zum Cinchein- beziehungsweise -ausgang führen zwölf Zentimeter lange Kabel. Statt Billigdraht baut Norbert Lehmann hervorragend leitende und vor allem klingende Mogami VW-1 ein. Darauf angesprochen, dass in so manch anderem Kopfhörerverstärker mit hohem Anspruch und ebensolchem Preis an dieser Stelle massiv mit Material gegeizt wird, entgegnet der Bergisch-Gladbacher Entwickler: »Das ist eine bodenlose Frechheit. Zum einen, weil es nicht dem Streben nach wirklich bester Klangqualität entspricht, zum anderen ist es eine für mich undenkbare Missachtung des Kunden.«

Bei den Bauteilen geht es lustig weiter auf höchstem Niveau. So sind sündhaft teure MKP-Kondensatoren von Mundorf verbaut. »Nicht weil es teuer ist, sondern weil es einfach besser tönt«, lautet der Kommentar des Entwicklers. So erklärt er auch den nächsten Schritt: Unter dem Gehäuse kleben nicht die üblichen Gummi- oder Plastikfüßchen, sondern schwingungsdämpfende Produkte aus dem Hause SSC. Wer schon einmal ausprobiert hat, welchen Einfluss Feinsicherungen auf die Klangqualität haben, den wird es nicht wundern, dass im Linear SE ein AHP-Modell sitzt. Sollte hier wirklich mal einer das Thema zu Ende gedacht haben?

Ja, denn Norbert Lehmann weiß, worauf es bei Kopfhörerverstärkern ankommt. Die technischen Bedingungen, welche die unterschiedlichen Kopfhörermodelle stellen, können von den meist in Vor- oder Vollverstärkern integrierten Lösungen gar nicht oder nur unzureichend erfüllt werden. Das ist der Grund, weshalb es überhaupt separate Kopfhörerverstärker gibt. Damit die Kopfhörer am Linear SE mit dem richtigen Pegel laufen, kann über DIP-Schalter auf der Gehäuseunterseite der Pegel in zwei Schritten à 10 dB angehoben werden – klar, für jeden Kanal separat regelbar.

Logische Folge

Natürlich schürt derartiger Aufwand die Erwartungshaltung für den Hörtest. Erinnern Sie sich an die eingangs geschilderte Szene des überschwemmten New Yorks? Mit dem Linear SE, der sein Signal vom D/A-Wandler V-DAC aus dem Hause Musical Fidelity bekommt und es an den Beyerdynamic TP 70 weitergibt, wird die Tonkulisse eindrucksvoll, sprich authentisch übertragen. Faszinierend am Kopfhörer-Erlebnis ist der Zugewinn an Details, gewünschten wie unerwünschten. Denn wer den Film in der synchronisierten Version anschaut, wird über die ulkigen Geräusche zwischendurch staunen.

Aber der Lehmannaudio Linear SE ist in erster Linie für Musik gemacht. Deshalb starten wird jetzt die Pure-Music-Software und die iTunes-Datenbank, die ausschließlich Apple-Lossless-kodierte Titel enthält. Dann legt Herman van Veen mit seinem »De Fluiter« los, zunächst Klavier und Pfeifen live, dann verschwindet es im Playback. Van Veen macht einem Musiker Komplimente und man sitzt einfach zwischen den Zuschauern, ganz normal. Die Betonung des Ganzen und nicht etwa tonaler Teilbereiche prädestiniert diesen Kopfhörerverstärker fürs Langzeithören.

»Alfie« von Patricia Barber klingt über den Kopfhörerausgang eines Apple iMacs inakzeptabel, die Zuschaltung der Channel-D-Software »Pure Music« ändert nichts an der akustischen Katastrophe. Matt, hohl und undynamisch ertönt die überragende Aufnahme, so lässt sich nicht mal ein Titel bis zum Ende durchhören. Erst der Wechsel auf Musical Fidelitys V-DAC und den Linear SE führt wieder zur tonalen Harmonie und dank überragender Klangqualität zu einer eigenen Form des Genusses. So einen Kopfhörerverstärker haben wir noch nicht gehört!

Direkt an die Quelle

Nun muss der Linear SE aber auch noch zeigen, was er aus SACDs macht, die der Marantz SA-KI Pearl abtastet. Los Angeles Guitar Quartet, den Namen dieses Ensembles darf sich ruhig jeder merken. Nicht nur bei dem Titel »Cafezinho« kann der Lehmannaudio seine Qualitäten vollständig ausspielen. Mit Takt und Rhythmusgefühl sowie tadelloser Auflösung manövriert er sich durch das Stück und lässt sowohl den im Marantz verbauten Kopfhörerausgang als auch sein Pendant im Audionet SAM G2 merklich hinter sich.

Das zeigt übrigens einen grundsätzlichen Unterschied in der Haltung. Viele Hersteller sehen in der Kopfhörerbuchse ein wohl nicht zu vermeidendes Übel, und entsprechend niedrig fällt die Qualität dann aus. Diese Einstellung stammt aus einer Zeit, in der das Benutzen eines Kopfhörers ausschließlich für die Zeit nach 22 Uhr in Mietwohnungen vorgesehen war. Norbert Lehmann hat das Thema anders verstanden und die Aufgabe »summa cum laude« gelöst. Mit dem Linear SE bekommt das Hören per Kopfhörer eine beachtliche Genusskomponente, die mit allem etwas zu tun hat, nur nicht mit dem Wort »Kompromiss« – herzliches Willkommen für die neue Referenz!

Lehmannaudio Linear SE

Eingänge:   1 x Cinch, 1 x Netz
Ausgänge:
   1 x Cinch, 2 x 6,3-mm-Neutrik-Klinkenbuchse

Ausgangsimpedanz Kopfhörerausgang:
   5 Ohm
Ausgangsimpedanz Lineausgang:   60 Ohm

Besonderheiten

  • Drei Verstärkungsfaktoren schaltbar
  • SSC-Füße
  • Mogami-Innenverkabelung
  • Mundorf-Bauteile
  • Verschiedene Echtholzfurniere


Option:   USB-Wandler

Abmessungen (B x H x T):   12 x 6 x 29,5 cm
Gewicht:   2 kg

Preis:   ab 1.450 Euro
Preis Testmodell:   1.800 Euro
Garantie:   2 Jahre

Lehmannaudio Vertriebs GmbH
Waltherstraße 49 – 51
Gebäude 4
51069 Köln

Internet:   www.lehmannaudio.de
 
Tel.:   0221 / 29 49 33 20
Fax:   0221 / 29 49 33 19

Der Lehmannaudio Linear SE ist ein überragend klingender und sinnvoll ausgestatteter Kopfhörerverstärker, der bei Bedarf sogar als Ein-Quellen-Vorverstärker funktioniert. Ohne Missachtung selbst kleinster Details überzeugt die lockere Spielart dieses Amps auf Anhieb. Wer dem Thema Kopfhörer aus klanglichen Gründen bisher kritisch oder gar ablehnend gegenüberstand, dem kann der Linear SE einen sicheren Zugang zu vollwertigem Genuss verschaffen. Wer ohnehin Kopfhörer im regelmäßigen Einsatz hat, wird sich nach einigen Stücken fragen, ob er den eigenen Ohren noch trauen kann. Schließlich spielt die neue i-fidelity.net-Referenz klanglich in der allerhöchsten Liga!   Olaf Sturm

Lehmannaudio Linear SE
Preis: ab 1.499 Euro
Garantie: 2 Jahre
überragend
überragend
sehr gut
überragend

TEST

Verstärker:
Lehmannaudio Linear SE
Autor:
Olaf Sturm
Datum:
22.02.2012
Hersteller:
Lehmannaudio