Man könnte meinen, die Gattung der großen Standboxen sei eine aussterbende Spezies. In Anbetracht der Heimkino-Übermacht und der vielen Sub-Sat-Kombis scheinen ordentliche Standlautsprecher kaum noch eine Chance am Markt zu haben. Dabei hat diese Gattung einige nicht zu unterschätzende Vorteile. Wenn die Lautsprecher gut gemacht sind, spielen sie das ganze Tonspektrum inklusive Tiefbass aus einem Guss. Mit ihnen gibt es keine Probleme bei der Wahl der Übergangsfrequenz, der Phase und des Pegels wie bei Subwoofer-Satelliten-Kombinationen.
KEFs neue Q-Reihe hat gleich drei Standboxen im Programm, und alle drei sind mit einem technischen Feature ausgestattet, das die Konkurrenz neidisch beäugt: dem »Uni-Q-Chassis«. Die Briten haben den Koaxial-Lautsprecher großserienreif gemacht und vor allem in den letzten 20 Jahren auch noch weiterentwickelt. Ergebnis ist ein Chassis, das der idealen Punktschallquelle sehr nahe kommt.
Bei einem Koaxial-Chassis sitzt der Hochtöner im Zentrum des Tiefmitteltöners, ist also auf einer Achse angeordnet. Das hat theoretisch viele Vorteile, aber praktisch sind auch einige Widrigkeiten zu bekämpfen. Die Vorteile: keine Interferenzeffekte aufgrund der Verschmelzung der Schallentstehung beider Chassis in einem Punkt; eine punktsymmetrische und über den Hörbereich gleichförmige Abstrahlcharakteristik und – wenn die Frequenzweiche geschickt ausgelegt ist – eine zeitrichtige Abstrahlung.
Die Widrigkeiten: Der Hochtöner »sieht« eine modulierende Schallwand in Form der Tiefmitteltonmembran. Der Abstrahlwinkel des Hochtöners ist begrenzt durch die Trichterform der Konusmembran. Letzteres kann aber auch zum Positiven genutzt werden. Schafft man es, dank einer flachen Konusgeometrie einen breiten Abstrahlwinkel in den Mitten zu erzeugen, so weist der im Zentrum sitzende Hochtöner ein ähnlich weites Abstrahlverhalten auf. Wichtig ist dabei, die zu hohen Frequenzen hin zunehmende Bündelung konstant zu halten. Und genau das haben die Briten mit dem neuen Uni-Q-Chassis sehr gut hinbekommen.
Im Beschallungssektor ist das Bündelungsmaß »Q« seit eh und je der entscheidende Faktor für die Güte eines Lautsprechers. Zwar hat sich auch gezeigt, dass eine zu starke Bündelung der Musikwiedergabe zu Hause abträglich ist, eine gewisse Bündelung und mithin Ausblendung der Hörraum-Akustik ist für den guten Ton jedoch von Vorteil. Entscheidend ist das tonal gleichmäßige Reflexionsmuster des Hörraums, das heißt, eine zu hohen Frequenzen hin konstant abfallende Schallenergie.
Das Uni-Q-Chassis hat in der überarbeiteten neuen Version einige technische Änderungen erfahren. Der Hochtöner der Q900, der größten Standbox der Reihe und i-fidelity.net-Testexemplar, hat 38 Millimeter Durchmesser, es stehen also immense Pegelreserven zur Verfügung. Eine passende Streulinse garantiert trotz der Größe ein breites Abstrahlverhalten auch in den höchsten Tönen. Eine rückseitig montierte Röhre sorgt dafür, dass der nach hinten abgestrahlte Schall besser absorbiert und weniger reflektiert wird. Die neuartige Einspannung der Tiefmitteltonmembran – die sogenannte Sicke – bekam eine bessere Dämpfungsfunktion. In der Summe entstand ein konzentrisch abstrahlendes Chassis, das technisch gesehen ein Meisterstück darstellt.
An Membranfläche mangelt es der Q900 beileibe nicht. Vier 20 Zentimeter große Treiber – zwei aktive und zwei passive – bieten mehr als ausreichend bewegte Fläche, um selbst tiefe Frequenzen mit Pegelreserven wiedergeben zu können. Anstatt des obligatorischen Bassreflexkanals verwenden die Ingenieure bei KEF passiv schwingende Membrane. Vorteil: Etwaige Strömungsgeräusche oder höherfrequente Resonanzanteile aus dem Gehäuseinneren werden nicht nach außen getragen.
Ansonsten bieten die Größten der Q-Reihe die üblichen Standards: solide Bi-Wiring-Anschlüsse, gute Verarbeitung und schicke Optik. Obwohl die Gehäuse lediglich foliert sind, vermitteln sie einen hochwertigen Eindruck. Der Kunde kann wählen zwischen Kirsche, Nussbaum oder Eiche schwarz. Für festen Stand sorgen vier mit Spikes bewehrte Ausleger. Soviel zur Technik.
In punkto Einwinkelung in Richtung Hörplatz oder gerader Ausrichtung sind die KEF-Lautsprecher recht unkritisch. Zwar gilt auch bei den Q-Boxen: Eine Ausrichtung in Richtung Hörplatz erhöht die Abbildungspräzision, doch in weit geringerem Maße als bei den meisten anderen Lautsprechern. Auch die Tonalität ändert sich nur geringfügig – ein Verdienst der guten Koaxialchassis. Der gute Wirkungsgrad in Verbindung mit dem noch unkritischen Impedanzminimum von etwas über drei Ohm erlaubt auch den Anschluss von Verstärkern der mittleren Leistungsklasse.
Um es vorwegzunehmen: Die Q900 spielt atemberaubend, einfach sensationell. Hier stimmt einfach alles – halt, fast alles, doch dazu später. Ob Tonalität oder Abbildungspräzision – die großen Qs bieten kurz gesagt eine sagenhafte Authentizität. Ein untrügliches Indiz für eine gute HiFi-Anlage ist, wenn man vom Nebenraum aus einer sauber eingefangenen Live-Aufnahme lauscht und einem das musikalische Geschehen das Gefühl vermittelt, als würde im Hörraum ein Live-Konzert stattfinden. So geschehen mit der Q900: Wenn Patricia Barber »If This Isn´t Jazz« zum Besten gibt und das Publikum zwischendurch Beifall bekundet, dann ist das schon sehr real. Sitzt man mittig vor den Lautsprechern, ist das Gefühl, mittendrin statt nur dabei zu sein, noch einmal eine ganz andere Nummer.
Patricia Barber steht dann wie festgenagelt vor der Hörjury, während die Schwingungen des gezupften akustischen Basses Ton für Ton den Hörraum durchdringen. Oder nehmen wir »Bye Bye Blackbird« mit Klavier, Bass und Perkussion sowie Mrs. Barber am Mikrofon. Das zarte Zischeln des Besens, der eindrückliche Bass und vor allem das Tasteninstrument klingen einfach so, wie man es live kennt. Das klare Perlen der Klaviertasten ist eine Herausforderung für jeden Lautsprecher.
Die KEF Q900 beherrscht das harte Anschlagen sowie das Nachklingen der Tasten mit der richtigen Dosierung der Obertöne – und das so gut, wie ich es seit langem nicht mehr gehört habe. Bravo. Aber auch die weniger intime Darstellung etwa eines großen Orchesters à la »Bilder einer Ausstellung« von Modest Mussorgsky beherrschen die Standboxen mit Bravour. Üblicherweise klingen solch komplexe Instrumentierungen insbesondere bei Tutti eher flach, ohrenscheinlich weniger detailliert.
Die KEFs gehen hier nuancierter zu Werke. Die verschiedenen Instrumentengruppen werden differenzierter, klarer herausgeschält und führen den Zuhörer näher an das Live-Erlebnis heran. Vor allem die plastische räumliche Abbildung des Geschehens ist eine Ohrenweide. Man muss nicht erst die Augen schließen, um sich im Konzertsaal zu wähnen.
Das sind also die perfekten Lautsprecher? Beinahe – wenn, ja wenn da nicht der enorm kräftige Tieftonpart wäre. Bis vielleicht 100 Hertz hinunter intonieren die Briten nahezu perfekt, aber darunter scheiden sich die Geschmäcker. Nicht dass der Tiefbass schlechter Qualität wäre, nein, die Tiefen haben Kontur. Aus audiophiler Sicht würde ich sagen: drei Dezibel weniger wären das richtige Maß an Tiefendosis. Doch wer es gern kräftig mag, der wird die Q900 dafür lieben – garantiert und angesichts der Gesamtperformance gibt es auch an einem »überragend« nichts weiter zu rütteln.
Konstruktion: Zweieinhalb-Wege-Bassreflexlautsprecher
Bestückung: 1 x 38-mm-Hochtöner, montiert im Zentrum einer 200-mm-Mitteltonmembran (Uni-Q), 1 x 20-cm-Tieftöner, 2 x 20-cm-Passivmembran
Übergangsfrequenzen: 1.800 Hertz, 2.500 Hertz
Abmessungen (B x H x T): 25 x 106 x 33 Zentimeter
Gewicht: 22 kg
Paarpreis: 1.598 Euro
Garantie: bis zu 5 Jahre*
* Einsendung der Garantiekarte ist dafür erforderlich.
GP Acoustics GmbH
Kruppstr. 82 – 100
45145 Essen
Tel.: 0201 / 17039-130
Web: www.gpaeu.com
Dieser Lautsprecher öffnet einem die Augen, oder sollte man besser sagen die Ohren? Offenheit ohne aufgesetzte Frische, räumliche Abbildung ohne plakative Vordergründigkeit – die Q900 von KEF wird bestimmt noch den einen oder anderen Preis einheimsen und vor allem viele anspruchsvolle Hörer glücklich machen. Sie klingt ganz einfach überragend. Bei i-fidelity.net nimmt sie in unverschämt lockerer Art den »Highlight«-Stempel mit. Michael Jansen
KEF Q900 |
Paarpreis: 1.598 Euro |
Garantie: bis zu 5 Jahre |