2008 ist ein Jubeljahr für Naim: Vor 25 Jahren wurde eine der wenigen echten Legenden des britischen Verstärkerbaus vorgestellt: der Naim Audio Integrated Amplifier, von seinen Freunden liebevoll »Nait« genannt. Für alle Fans der Marke Naim gab es bis vor einem Jahr keine wirkliche Alternative in Sachen Vollverstärker, doch mit dem »Supernait« ändert sich vieles.
Der »Supernait«, der mit einer für Naim-Geräte untypischen Ausstattung prunkt, soll alles noch viel besser machen als die aktuelle Inkarnation des Nait – der 5i. Er ist jedoch mit 3.500 Euro auch erheblich teurer zu bezahlen. Damit steht von vorneherein fest: Der Supernait ist keineswegs für den High-End-Einsteiger gedacht. Dafür ist er schlichtweg zu kostspielig. Andererseits kann man bei Naim Audio für eine vergleichbare Summe bereits eine gestandene Vor-/Endstufen-Kombination (zum Beispiel NAC 202 samt NAP 200) erwerben, die somit für die gleiche potentielle Kundschaft wie der Supernait in Frage kommt. Was sollte einen also dazu bewegen, sein Geld lieber in einen Vollverstärker zu investieren?
Dazu muss man sich vergegenwärtigen, dass sich die Ansprüche und Bedürfnisse der Kunden an Stereoanlagen in den letzten 25 Jahren signifikant verändert haben. Anfang der 1980er-Jahre haben viele HiFi-Fans ohne Rücksicht auf die Innenarchitektur Komponenten verschiedener Hersteller miteinander kombiniert, die im Einzelfall auch auffallend hässlich sein durften. Denn sind wir mal ehrlich: So richtig schön waren die Naim-Geräte der ersten Generation mit ihrem grau-schwarz-silbernen Outfit nicht wirklich. Aber wir haben nicht die 80er, ja nicht einmal mehr die 90er-Jahre. Wir sind im dritten Jahrtausend nach Christi Geburt angekommen, und es gibt heute neben Plattenspielern, vereinzelten Cassettenrecordern und Tunern viele weitere, vor allem digitale Quellengeräte, die Anschluss suchen. Weiterhin kann sich nicht jeder Musikliebhaber mit der reichhaltigen Palette an Vor- und Endstufen, externen Netzteilen und gegebenenfalls Aktivweichen anfreunden, die Naim in den höheren Preisklassen anbietet. Zu viele Geräte, zu hoher Stromverbrauch, zu viele Kabel, zu großer Platzverbrauch und überhaupt viel zu viel Aufwand für den eigentlich simplen Wunsch, einfach nur ein bisschen besser Musik zu hören, als dies bereits mit dem kleinen Nait möglich ist.
Der Supernait zeigt schon mit seinem Äußeren, dass er willens und in der Lage ist, diese gewachsenen Ansprüche zu erfüllen. Sein Gehäuse entspricht sowohl bezüglich der Abmessungen als auch der hervorragenden Verarbeitungsqualität den großen Geräten des Herstellers aus dem englischen Salisbury. Auf den ersten Blick könnte man den Supernait sogar mit der Vorstufe NAC 282 verwechseln. Die beiden für Naim typischen großen Drehregler – einer für die Lautstärke und einer für die Balance – nebst der Doppelreihe mit je sieben (bei der NAC 282 sind es deren acht) leuchtend grün umrandeten Drucktastern sowie das unvermeidliche, ebenfalls grün hinterleuchtete Naim-Logo sprechen eine ganz eindeutige Formensprache. Die lässt die Kundigen den Supernait schnell als das identifizieren, was er ist: ein waschechter Naim der gehobenen Preisklasse mit Ambitionen auf eine Mitgliedschaft in der elitären »Reference Series« des Herstellers.
Einen ersten Hinweis auf die ungewöhnlich üppige Ausstattungspalette geben die beiden Mini-Klinkenbuchsen rechts unten auf der Frontplatte. Sie ermöglichen den Anschluss eines Kopfhörers, der über einen eigenen Verstärker angesteuert wird, sowie eines externen Quellengeräts. Dieses kann entweder analoge oder digitale Signale an den Supernait weiterreichen, denn in dessen Innern steckt der Digital/Analog-Wandler-Baustein 1792 von Burr-Brown, der den Naim in die Lage versetzt, mit DVB-Tunern, iPods und Ähnlichem ohne Umwege digital zu kommunizieren. Für Interessenten, die nun möglicherweise etwas verschreckt zucken, kann ich aber Entwarnung geben: Der D/A-Wandler ist nur dann aktiv, wenn er tatsächlich gebraucht wird, und er wird selbstverständlich separat mit Strom versorgt. Dessen ungeachtet kann man den Supernait auch einfach nur auspacken und ihn entweder über seine DIN-Buchsen mit einem CD-Spieler beziehungsweise Tuner von Naim verbinden oder über die gängigen Cinchbuchsen alle anderen Gerätschaften anschließen.
Übrigens sind die DIN- und die korrespondierenden Cinchbuchsen parallel geschaltet, so dass es prinzipiell möglich, aber nicht unbedingt ratsam ist, an einem Eingang zwei Geräte gleichzeitig anzuschließen. Doch nicht nur deshalb sei dem künftigen Supernait-Besitzer nachdrücklich die Lektüre der umfangreichen Bedienungsanleitung ans Herz gelegt. Sie ist auch dann sehr hilfreich, wenn man die diversen Features, die der Vollverstärker bietet, einmal ausprobieren möchte. Etwa die Programmierung der sechs Eingänge, die in weiten Grenzen nach persönlichem Gusto konfiguriert werden können. Eine Phonoplatine fehlt indes, aber das wäre wohl auch zuviel verlangt. Immerhin kann der Supernait als Netzteil für die hauseigene, externe Phonostufe Stageline herhalten, und das ist ja auch schon was.
Noch ein paar Anmerkungen über das Innenleben dieses Vollverstärkers: Er ist für einen Naim ungewöhnlich dicht gepackt. Neben dem unvermeidlichen, wirklich riesigen Netztrafo und den dazugehörigen Batterien an Kondensatoren dominiert die Endstufensektion das Bild. Über den Gesamteindruck des sorgfältigen Platinenlayouts, der penibel verlegten Kabelbäume, der motorbetriebenen Lautstärke- und Balanceregler muss man nicht mehr viele Worte verlieren, denn das hieße Eulen nach Athen tragen: Naim Audio leistet seit vielen Jahren in punkto Verarbeitungsqualität und Sorgfalt erstklassige Arbeit.
Der Supernait wäre natürlich kein echter Naim, gäbe es nicht diverse Aufrüstmöglichkeiten, zum Beispiel mit externen Netzteilen. So kann man der internen Vorstufe mit Hilfe eines Hicaps oder sogar eines Supercaps ein eigenes Netzteil spendieren. Der Anschluss einer NAP 200 ermöglicht den Bi-Amping-Betrieb, und natürlich könnte man den Supernait nur als Vorverstärker oder (das wird wohl eher selten ernsthaft in Betracht gezogen) als reine Endstufe betreiben.
Das Bedürfnis zum Aufrüsten dürfte sich jedoch in Grenzen halten, dafür ist der Supernait auch solo viel zu gut. Doch der Reihe nach. Früher standen Naim-Verstärker in dem Ruf, nicht unbedingt mit jedem Konkurrenzprodukt – und schon gar nicht mit relativ preiswerten japanischen CD-Spielern – besonders gut zu harmonieren. Zumindest im Zusammenspiel mit dem Pioneer PD-D6-J fand ich aber nichts auszusetzen. Es war sogar so, dass ich keinen nennenswerten Unterschied gehört habe, wenn ich den Pioneer über die analogen Cinchbuchsen oder über einen elektrischen Digitaleingang angeschlossen habe. Da ich zum Zeitpunkt dieses Berichts aber noch nicht abschließend beurteilen kann, wie gut der interne Wandler des Pioneers ist, ist das weder eine gute noch eine schlechte Nachricht. Der interne Wandler des Supernait ist jedenfalls eher weniger dafür konzipiert, erstklassige CD-Spieler oder hoch- und höchstwertige CD-Laufwerke zu kontaktieren, als vielmehr den zeitgemäßen Digitalquellen wie Laptops, iPods und DVB-Tunern eine Anschlussmöglichkeit zu bieten.
Da ich persönlich immer noch am liebsten dem Musikgenuss mit der altehrwürdigen LP fröne, habe ich den Supernait meistens in der Kombination mit dem Laufwerk TW-Acustic Raven Two mit Roksan Artemiz und Dynavector DV-17D3 über den Phonoverstärker Heed Quasar gehört. Alternativ waren der Decca International Tone Arm mit dem Tonabnehmer Decca Blue und der Brocksieper Phonomax im Einsatz. Als Lautsprecher dienten Spendor BC 1 und Thiel CS 1.5. Der Naim-Vollverstärker spielte mit allen diesen Komponenten gut zusammen, er fügte sich harmonisch in meine Anlage ein – da ging klanglich gar nichts in eine falsche Richtung.
Was ebenfalls klar festzustellen war: Nach einer angemessenen Warmlaufzeit trat ein gewisser Wiedererkennungseffekt auf. Nicht, dass ich mich noch wirklich daran erinnern könnte, wie vor vielen, vielen Jahren meine NAC 32.5 und NAP 90 in meiner Studentenbude geklungen haben; aber unser Gehirn hat ein reichhaltiges Repertoire an emotionalen Wiedererkennungsmustern parat, die in meinem Fall sagen: So ähnlich hat es damals auch geklungen. Die Betonung rhythmischer Strukturen, der nie übertrieben wirkende, aber deutliche Schub im Bass und die nicht nervige oder gar seziererische Hochtonwiedergabe haben sich als Schablonen in mein Gehirn eingebrannt. Daraus ziehe ich zwei Schlüsse: Trotz Fernbedienung und D/A-Wandler ist Naim mit dem Supernait seinen Klangidealen treu geblieben; und zum anderen sind etwaige Befürchtungen, die Klangqualität könnte möglicherweise unter dem gebotenen Komfort leiden, völlig unbegründet.
Nach dieser Erkenntnis habe ich mich zufrieden in meinen Sessel zurückgelehnt und einfach nur Musik gehört. Über Tage hinweg dachte ich überhaupt nicht mehr darüber nach, dass das nicht mein Supernait, sondern eben ein geliehenes Gerät ist, über das einen Artikel zu schreiben die eigentliche Aufgabe ist. Also habe ich wieder meine etwas in die Jahre gekommenen Bryston-Verstärker angeschlossen, um mir die Unterschiede bewusst zu machen und in Worte fassen zu können. Dabei wurde eines klar: Naim-Verstärker machen einige Dinge anders als die Mehrzahl der Mitwerber. Sonst hätte es Naim Audio wahrscheinlich nicht dauerhaft geschafft, eine seit Jahrzehnten treue und stetig anwachsende Fan-Gemeinde zu erreichen, die auf den Klang der Geräte schwört und kaum etwas anderes gelten lässt. Nach meinem Dafürhalten ist es vor allem die Fähigkeit der Naims, Strukturen im Bass freizulegen, die Rhythmik in der Musik herauszuarbeiten und so den oft erwähnten »Fußwippfaktor« zu erzeugen.
Da fällt es dem Musikgenießer leicht, sich auf das Wesentliche in der Musik zu konzentrieren. Hinzu kommt, dass der Supernait wie ein richtig großer Verstärker klingt. Die Darstellung eines großen Symphonieorchesters gelingt genauso selbstverständlich und mit der ihm eigenen Wucht, wie andererseits auch der Steinway von Keith Jarrett als das präsentiert wird, was er ist: ein riesiges Musikinstrument, das locker in der Lage ist, auch große Konzertsäle ganz allein mit Musik zu füllen.
Die Mitten sind seit jeher eine Paradedisziplin der Verstärker aus Salisbury. Das trifft auch auf den Supernait zu: Stimmen, etwa Madonna auf »Confessions On A Dance Floor«, kommen mit einer Akkuratesse und (im Falle von Mrs. Ciccone) mit so viel Sex-Appeal herüber, dass wirklich keine Wünsche offen bleiben. Selbstverständlich zeigt der Naim auch auf, dass diese Pop-Scheibe keinesfalls einen audiophilen Sonderstatus für sich in Anspruch nehmen darf. Sei’s drum: Der Supernait macht auch hier nur Freude, indem er die unschönen Seiten einer Aufnahme zwar nicht verschweigt, sie aber auch nicht gnadenlos ans Licht zerrt. So spürt er auch auf nicht ganz geglückten Aufnahmen der Musik und ihren Inhalten nach.
Im Hochtonbereich ist alles da, obgleich das allerletzte Funkeln von Triangeln und Hi-Hats seinen größeren (und teureren) Brüdern vorbehalten bleibt. Das wäre ja auch noch schöner, wenn der Supernait das ebenso gut könnte… Was er aber auf jeden Fall mit ihnen gemeinsam hat, ist diese wunderbar bruchlose Homogenität, die schlussendlich jede kleinliche Erbsenzählerei als überflüssige Übung entlarvt. Daher halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass es den Käufern des Naim Audio Supernaits ähnlich gehen wird wie mir: Man schließt ihn an, erfreut sich fortan an einer Musikwiedergabe auf hohem Niveau und vergisst ihn nach einer gewissen Zeit. Er ist einfach wie selbstverständlich da und verstärkt – egal ob analog oder digital – die ihm überantworteten Signale eben immer den Inhalten der Musik verpflichtet. Und ist es nicht genau das, was wir von einem richtig guten Verstärker erwarten?
Kategorie: Stereo-Vollverstärker
Abmessungen (B x H x T): 44 x 9 x 36 cm
Gewicht: 13 kg
Naim Audio bewirbt den Supernait mit dem Slogan »Wahrscheinlich der einzige Verstärker, den Sie je brauchen werden«. Berücksichtigt man neben der umfangreichen Ausstattung und den Anschlussvarianten auch die gehobene Klangqualität des Über-Naits, kann man dieser Aussage durchaus beipflichten. Da er als reiner Vollverstärker schon eine bemerkenswert gute Figur macht und andererseits diverse Optionen für späteres Aufrüsten offen lässt, ist der Supernait eine wirklich gute Investition für die audiophile Zukunft. Nach 25 Jahren Nait ist der Supernait ein weiterer Grund, den Entwicklern von Naim Audio zu gratulieren. Uwe Heckers