Mit sechs Line-Eingängen gibt sich der neue Vincent-Vollverstärker SV-800 äußerlich ausgesprochen puristisch und im Innern durchgängig klassisch analog. Wo sonst elektronische Heinzelmännchen lautlos die Eingänge umschalten, rastet sich der SV mit vernehmlichem Klackern seiner Relais auf die gewünschte Quelle ein. Die Lautstärke drosselt er nicht etwa mit in Chips gepressten, elektronisch angesteuerten Widerstandsnetzwerken, sondern regelt sie herkömmlich mit einem motorgetriebenen Potentiometer vom renommierten Hersteller Alps.

»Wozu um Gottes Willen braucht es aber acht Röhren in der Vorstufensektion?«, fragt sich der technisch versierte High-Ender. Beim Blick auf die Eingangsklemmen sieht es noch so aus, als ob der SV-800 mit nur einem XLR-Eingang die symmetrische Signalführung als Pflichtübung abhakt. Die genaue Analyse des Schaltplans räumt die Vorbehalte jedoch flugs aus dem Weg: Im Vincent arbeiten für den rechten und linken Stereokanal nicht nur jeweils ein Verstärkerzweig, sondern insgesamt vier eigenständige Röhrenvorstufen in Form von perfekt symmetrisch ausgelegten Einzelkanälen. Jeder schleust sowohl das invertierte als auch das nicht invertierte Signal zu den Endstufen durch. Der Vorteil: Auf dem Übertragungsweg einfallende Störungen eliminieren sich. Röhren sind bei der Spannungsverstärkung der ideale Partner. Bei einer Anoden-Kathodenspannung von beispielsweise 150 Volt gilt ein Tonsignal von 10 Volt als Kleinsignalaussteuerung im linearen Bereich der Kennlinie.

In puncto Strom oder Leistung erweisen sich Halbleiter als kräftigere Partner. Je vier bipolare Komplementärtransistoren von Toshiba (2SC5200 und 2SA1943) übernehmen im Vincent die Leistungsverstärkung in jeweils einem der vier Signalpfade. Jeder der Halbleiter kann bei Bedarf 15 Ampere lockermachen. Und die braucht's auch: Der Druck auf eine unscheinbare, mit »class A« beschriftete Taste auf der Front des SV-800 erhöht den Ruhestrom der Leistungstransistoren beträchtlich und zwingt die Halbleiter zu röhrenähnlichem – »Stichwort: single ended« – Verhalten. Dabei steigt der Ruhestrom so weit an, dass die Leistungsaufnahme des Verstärkers nahezu konstant, also unabhängig von den in den Lautsprechern verlangten Strömen ist. Auf der anderen Seite fallen Verzerrungen viel geringer aus, so dass der Vincent mit »class A« getrost auf eine klangschädliche Gegenkopplungs-Korrekturschleife verzichten kann.